Ein Polizeidirektor behauptet, sogenannte Mantrailer könnten Duftspuren auch nach Monaten noch sicher verfolgen. Die Uni Leipzig verlieh ihm dafür den Doktortitel. Andere halten den Mann für einen Hochstapler.
Für den Polizeidirektor Leif Woidtke könnte es kaum besser laufen. In den vergangenen Jahren entwickelte sich der Kriminalist aus Sachsen zu einem regionalen Medienstar. Stolz erklärt er Journalisten, welche Wunderdinge die Suchhunde vollbringen, mit denen er ermittelt.
Gerichte geben bei ihm immer wieder Gutachten in Auftrag; Woidtke behauptet, dass die sogenannten Mantrailer der sächsischen Polizei in der Lage seien, Gerüche einzelner Personen an einem Tatort auch noch sechs oder gar zwölf Monate nach einer Tat zu wittern – was etwa helfen könne, die Spur zu Tätern oder Vermissten zu finden.
Im vergangenen Oktober wurde dem Polizisten aufgrund seiner Forschung mit den vierbeinigen Spürnasen gar am Institut für Rechtsmedizin der Universität Leipzig der Doktortitel verliehen.
Alles bestens – wäre da nicht Kai-Uwe Goss, Chef der Abteilung für Analytische Umweltchemie am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Der Wissenschaftler hält Woidtke für einen gefährlichen Hochstapler.
Hunde, die DNA riechen können? Unsinn!
Die mithilfe der Hunde gewonnenen Ermittlungsergebnisse seien zweifelhaft, so Goss, und könnten unschuldige Menschen hinter Gitter bringen. Er glaubt, dass Woidtke seine Studie, die ihm die Doktorwürde einbrachte, mit fragwürdigen Testergebnissen unterfüttert hat.
Schon einmal hat Goss die Hundetrainer um Woidtke bei einer hanebüchenen Übertreibung ertappt. Im Januar 2018 vermeldete die Polizei Sachsen unter anderem auf Twitter eine scheinbare Sensation: »Können Mantrailer Hunde DNA riechen? Ja sie können!« Goss, der seit Jahrzehnten das Verhalten von Geruchsmolekülen in Luft und Boden erforscht, entlarvte die Erfolgsmeldung als Unsinn. Hundenasen seien in keiner Weise darauf ausgelegt, DNA-Stränge zu sequenzieren.
Doch Woidtke ließ sich davon nicht beirren. In der rechtsmedizinischen Fachzeitschrift »Forensic Science International« (»FSI«) veröffentlichte er neue, scheinbar bahnbrechende Forschungsergebnisse – diese Studie brachte ihm schließlich die Doktorwürde ein. Der Polizeidirektor behauptet darin, nachweisen zu können, dass Mantrailer-Hunde die Geruchsspur von Tätern oder Vermissten am Boden des Tatorts wahrnehmen können – und das womöglich noch nach Monaten.
Doch diese vermeintliche Fähigkeit der Suchhunde wird von Fachleuten bezweifelt. Nach Ansicht der polizeilichen Arbeitsgruppe für Personenspürhunde liegt die Obergrenze für erschnüffelbare individuelle Geruchsspuren von Menschen bei rund 36 Stunden. Um einen lebenden Menschen aufzuspüren, müssten Mantrailer ein ganzes Bouquet verschiedener Gerüche erkennen. Diese Geruchsinformationen befinden sich in der Regel auf Hautschuppen, auf denen unzählige Bakterien chemische Stoffe bilden, aus deren Zusammensetzung der spezifische Geruch eines einzelnen Menschen entsteht. Bei trockenem Wetter können solche Spuren schon innerhalb einer Stunde unbrauchbar werden.
Vernichtendes Zeugnis
Sind die angeblichen Leistungen von Sachsens Suchhunden also ein Hirngespinst? Vor Gericht erweisen sich deren Dienste jedenfalls immer wieder als kaum belastbar. In Dresden etwa waren im vergangenen September zwei Männer nach Brandanschlägen auf eine Baufirma und den Neubau der Justizvollzugsanstalt Zwickau in Haft geraten; Polizeihunde hatten angeblich die Fährte der Verdächtigen an einem nicht gezündeten Brandsatz aufgenommen. Das Gericht sah dieses Indiz jedoch als nicht ausreichend an, die Männer wurden nach wenigen Wochen aus der Untersuchungshaft entlassen.
Im Fall eines Mannes, der im Verdacht stand, in Brandenburg mehrere Geldautomaten aufgesprengt zu haben, ermittelten im Jahr 2017 Woidtkes Hunde Hermine und Hippie und sammelten vermeintlich belastende Indizien gegen den Angeklagten. Während des Verfahrens hatte die Strafkammer als Sachverständige sowohl Woidtke als auch Goss gehört. Der Argumentation des sächsischen Polizeidirektors stellten die Richter anschließend ein vernichtendes Zeugnis aus.
»Dass ein Hund in der Lage sein soll, nach fast einem Jahr noch eine Geruchsspur eines Menschen auszuarbeiten, die im Freien ungeschützt der Witterung von nahezu vier vollen Jahreszeiten ausgesetzt war und unmittelbar an einer viel befahrenen Bundesstraße innerörtlich beiderseits entlang derselben führen soll, ist der Kammer nach allem Gesagten schon grundsätzlich nicht mehr nachvollziehbar«, konstatierten die Richter in der Urteilsbegründung. Der Beschuldigte wurde im März 2020 freigesprochen.
In der Studie von Polizeidirektor Woidtke stieß Goss nun zudem auf eine statistische Ungereimtheit, welche die Aussagekraft der Schnüffelarbeit grundsätzlich in Zweifel zieht. Woidtke hatte 675 Geruchstests mit Spürhunden durchführen lassen. In den Versuchen mussten die Tiere die Fährte eines Menschen aufnehmen, die von einem fiktiven Tatort stammte. Vor jedem Testgang musste der jeweilige Hundeführer aus drei verschiedenen Möglichkeiten eine Geruchsprobe auswählen. Der Zufall entschied: Zwei der Proben, die zur Auswahl standen, stammten von dem Testtatort; die dritte Probe gehörte hingegen zu einer Person, die sich gar nicht am fiktiven Tatort aufgehalten hatte – ein sogenanntes Negativ.
Laut Woidtkes Studie irrten sich die Polizeihunde nur in höchstens fünf Prozent der Fälle, was ein Beweis für die außergewöhnlichen Fähigkeiten der Schnüffler wäre. Doch Goss fiel auf: Nicht bei jedem dritten, sondern angeblich nur bei knapp jedem vierten Schnüffeltest hatten die Hundeführer eine Negativprobe gezogen – ein extrem unwahrscheinlicher Zufall. Die Chance dafür, 158 oder weniger Negativproben zu ziehen, liege, so Goss, bei 1 zu 88 Millionen.
Misslungene Farbcodierung bei Geruchsproben
Sein Verdacht: Woidtke habe Dutzende Proben, die nicht von dem fiktiven Tatort stammten und bei denen die Hunde dennoch fälschlicherweise die Fährte aufnahmen, einfach unterschlagen. Durch diese Manipulation habe er die Treffsicherheit seiner Hunde künstlich erhöht.
Nachdem Goss der Fachzeitschrift »FSI« seine Bedenken mitgeteilt hatte, forderte die Redaktion von Woidtke und seinen beiden Co-Autoren jenes Datenmaterial zur Analyse an, auf dem die Studie basiert. Woidtke verteidigt sich, er habe »einer unabhängigen Re-Evaluation der Studienergebnisse nie widersprochen, sondern die komplette Datengrundlage der Studie dem FSI zur Veröffentlichung überlassen«.
Das wiederum wird jedoch von den Herausgebern der Fachzeitschrift bestritten. Sie warnen nun sogar ausdrücklich vor der Nutzung der Studienergebnisse, »insbesondere in der forensischen Fallarbeit«.
Inzwischen geriet die Hundestudie aus Sachsen auch ins Visier des Ombudsgremiums der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Deren Vertreter finden, »dass die Universität sich der Sache dringend annehmen sollte«.
Tatsächlich wusste die Universität Leipzig bereits vor der Verleihung der akademischen Würde an Woidtke von den wissenschaftlichen Einwänden gegen seine Forschungsarbeit. Der Ombudsmann der Universität kam zwar zu dem Schluss, dass die Studie methodische Mängel aufweise. Doch weder die Fachgutachter noch der Ombudsmann konnten eine absichtliche Täuschung erkennen.
Autor Woidtke behauptet, etwaige Unstimmigkeiten in der Statistik seiner Studie seien vermutlich auf eine misslungene Farbcodierung bei den Geruchsproben zurückzuführen. Gegenüber dem SPIEGEL erklärte er: »Der Verdacht auf Datenmanipulation wurde durch nachträgliche unabhängige statistische Auswertungen widerlegt.«
Diese nachträgliche Auswertung übernahm ein Biometriker der Universität Leipzig, der die statistischen Unstimmigkeiten in Woidtkes Studie untersucht hat. Sein Urteil fällt allerdings deutlich skeptischer aus, als Woidtke dies im Nachhinein offenbar zugeben mag: »Anhand der Daten lässt sich leider nicht klären, warum der Anteil der ausgewählten negativen Proben überzufällig niedrig ist.«
Auf Anfrage des SPIEGEL teilte die Universität Leipzig jetzt überraschend mit, dass sich ihre Ständige Kommission zur Untersuchung von Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens erneut mit Woidtkes Forschung beschäftigen wolle.
Kritiker Goss reicht das nicht mehr aus: »Wenn es nach der Universität geht, gibt es womöglich nur einen ›Fall Woidtke‹ – aber inzwischen ist die Universität Leipzig selbst zu einem Fall geworden. Und der muss von einem unabhängigen Gremium außerhalb der Universität untersucht werden.«