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Die rot-rot-grüne Landesregierung will mit einem neuen Polizeigesetz rassistische Polizeikontrollen explizit verbieten und die Rechte von Betroffenen stärken. Oppositionsparteien und Gewerkschaft der Polizei echauffieren sich und nennen den Entwurf ein „Anti-Polizeigesetz“.
Am vergangenen Donnerstag hat die Bremer Regierungskoalition aus SPD, Grüne und Linke ihren Entwurf für ein neues Polizeigesetz in Bremen vorgestellt. Die Vorschläge enthalten mehr Befugnisse für die Polizei, etwa einen Ausbau der Videoüberwachung sowie Telekommunikationsüberwachung zur Gefahrenabwehr. Gleichzeitig sollen auch die Rechte von Betroffenen bei Polizeikontrollen gestärkt werden.
Seit einigen Jahren geben vor allem Länder mit Unions-geführten Innenministerien immer neue Instrumente in die Hände der Polizei. Neue Länderpolizeigesetze brauchten etwa Befugnisse zum Staatstrojaner-Einsatz oder für Taser. Es ist eine Spirale der Aufrüstung, bei der die Bundesländer anscheinend um das schärfste Polizeigesetz konkurrieren.
Gegen den bundesweiten Trend
Bremen schlägt einen anderen Weg ein und folgt damit dem Beispiel Berlins. Zwar würde die Polizei neue Befugnisse bekommen, zugleich soll jedoch die Überprüfbarkeit von polizeilichem Fehlverhalten für Betroffene erleichtert werden. Das stößt auf teils heftigen Widerstand und wird von der Deutschen Polizeigewerkschaft als Misstrauen gegenüber der Polizei bezeichnet. Es sei ein „fataler Tag für die Polizei“, sagte der innenpolitische Sprecher der CDU, Marco Lübke, und spricht von einem „Anti-Polizeigesetz“.
Einer der größten Streitpunkte im geplanten Gesetz ist die Ausweiskontrolle. Bislang darf die Polizei an vier Orten in Bremen jede Person ohne Anlass kontrollieren. Immer wieder würden an diesen sogenannten besonderen Kontrollorten rassistische Polizeikontrollen dokumentiert, sagt eine Mitarbeiterin der Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt Soliport gegenüber netzpolitik.org.
Wer sich ausweisen muss, soll eine Kontrollquittung bekommen
Zukünftig müssten Polizist:innen stets einen „auf die Person bezogenen Anhaltspunkt“ für die Kontrolle nennen können und diesen auf Verlangen schriftlich auf einer Quittung aushändigen. Der bloße Aufenthalt an einem besonderen Kontrollort, wie etwa dem Hauptbahnhof, würde nicht mehr genügen.
So soll die Maßnahme für Bürger:innen transparenter werden. Die Idee dazu sei auf mehreren Fachtagungen zum Thema „Racial Profiling“ entstanden. Dabei habe man sich von Expert:innen aus anderen europäischen Ländern beraten lassen, wo es bereits positive Erfahrungen mit dem Instrument der „Kontrollquittung“ gebe, sagt der Sprecher der Grünen-Fraktion.
Die Deutsche Polizeigewerkschaft wirft der Regierung vor, „ideologiebedingt“ zu handeln. Ein Redakteur von Radio Bremen befürchtet, dass sich auf dieser Grundlage „jeder Drogendealer hinterher beschweren kann, wenn er kontrolliert wurde“. Doch alle Menschen müssen die Möglichkeit haben, die Rechtmäßigkeit von polizeilichem Handeln überprüfen zu lassen.
Unabhängige Kontrollen auf Missstände bei der Polizei
Die Koalitionsparteien wollen zudem eine unabhängige Beschwerdestelle schaffen, die Missstände untersuchen und für Bürger:innen, Polizist:innen und die Fraktionen im Landtag ansprechbar sein soll. Die Soliport-Beratungsstelle unterstützt das Vorhaben. Die Erfahrung zeige, dass „Menschen, die rassistische Kontrollen erleben, sich aus nachvollziehbaren Gründen nicht an die Polizei wenden, um Anzeige zu erstatten oder eine Dienstaufsichtsbeschwerde einzureichen“.
Außerdem soll die Datenschutzbeauftragte neue Instrumenten an die Hand bekommen. Wie in manchen anderen Bundesländern auch dürfte sie zukünftig eine Anordnung gegenüber der Polizei aussprechen, der die Polizei folgen muss.
Die bereits bestehende Kennzeichnungspflicht soll ausgeweitet und gesetzlich verankert werden. Seit 2014 müssen Polizist:innen in Bremen ihre Dienstnummer oder Namen an der Uniform tragen. Ausgenommen von der Regelung war bisher die Bereitschaftspolizei im Alltagseinsatz. Gelegentlich seien Beamt:innen derart kurzfristig zu Demonstrationen beordert worden, dass sie keine Zeit mehr gehabt hätten, rechtzeitig ihre Kennzeichnung anzubringen, sagt der Sprecher der Grünen-Fraktion. Zukünftig soll das verhindert werden, indem alle Polizist:innen ihre Kennzeichnung immer tragen müssen.
Prävention bei Gewalt in Partnerschaften
In einem engen Rahmen dürfte die Polizei zukünftig die Kontaktdaten von Menschen, die in ihrer Partnerschaft wiederholt Gewalt erfahren oder ausüben, an eine entsprechende Beratungsstelle weitergeben. Das soll die Hürden für den Erstkontakt senken. Wenn die betroffene Person nicht auf das Beratungsangebot reagiert, sollen ihre Daten wieder gelöscht werden.
Die Bremer Interventionsstelle gegen Beziehungsgewalt „Neue Wege“ forderte die Datenweitergabe seit Jahren und begrüßt die geplante Gesetzesänderung. „Opfer von häuslicher Gewalt fällt es meist schwer, in ihrer Ausnahmesituation die Entscheidung zu treffen eine Einverständniserklärung zu unterschreiben“, sagt eine Sprecherin gegenüber netzpolitik.org. Sie würden zwar meistens den Flyer erhalten, aber nicht aus eigener Initiative den Kontakt aufnehmen.
Gleiches würde zukünftig für Personen gelten, die einer gewaltbereiten Szene angehören. Bernd Wagner von Exit, einer Beratungsstelle für den Ausstieg aus dem Rechtsextremismus, lehnt eine solche geheime Kooperation von Sicherheitsbehörden und Beratungsstellen ab. „In unserer mehr als 20-jährigen Praxis haben sich Aktivitäten hinter dem Rücken von Personen nicht bewährt“, sagt er gegenüber netzpolitik.org. Er plädiert stattdessen für eine offene Vermittlung durch Polizeibeamte, die „in der Regel für alle sehr hilfreich“ sei.
Rechte von Trans- und Interpersonen sollen gestärkt werden
Die Rechte von Trans- und Interpersonen gegenüber der Polizei sollen gestärkt werden. Bei einer Durchsuchung am eigenen Körper sollen insbesondere Trans- und Interpersonen zukünftig einen Wunsch zum Geschlecht der durchsuchenden Beamt:in angeben und eine Begleitperson mitnehmen dürfen.
Auch der Ermessensspielraum der Justiz würde mit dem Gesetz eingeschränkt. Bisher kann die Dauer des präventiven Gewahrsams durch eine Richterin verlängert werden. Zukünftig wäre die Präventivhaft dann auf 96 Stunden gedeckelt. Bei allem, was darüber hinaus geht, müssten die Beamt:innen ein Ermittlungsverfahren eröffnen. In der Praxis dürfte dieses Instrument ohnehin kaum zur Anwendung gekommen sein. Ihnen sei kein einziger Fall bekannt, in dem eine Person länger als 48 Stunden von der Polizei festgehalten worden sei, sagt der Pressesprecher der Grünen-Fraktion gegenüber netzpolitik.org.
Videoüberwachung und Abhören von Telefonen
Als eines der letzten Bundesländer will Bremen der Polizei das Abhören von Telefonaten zur Gefahrenabwehr erlauben. Allerdings soll die Telekommunikationsüberwachung (TKÜ) in engen Grenzen stattfinden: So genügt es nicht, dass eine Person als verdächtig gilt, wie in Berlin geplant, vielmehr muss bereits ein konkretes Ereignis, wie eine schwere Straftat, absehbar sein und unmittelbar bevorstehen. Die TKÜ ist vorerst auf vier Jahre befristet und soll bis dahin evaluiert werden.
Zuletzt soll der Einsatz von Videokameras ausgebaut werden. Zukünftig sollen beispielsweise Kraftwerke dauerhaft überwacht werden. Außerdem will die Polizei auf Großveranstaltungen filmen dürfen. Wenn keine Straftaten vorliegen, müssen die Aufnahmen innerhalb von zwei Monaten gelöscht werden.
Im Herbst wird der Gesetzentwurf im Innenausschuss diskutiert. In der Regel werden dabei die Polizeigewerkschaften, die Datenschutzbeauftragte und externe Jurist:innen um ihre Einschätzung gebeten. Das Gesetz könnte noch in diesem Jahr verabschiedet werden.
Quelle: netzpolitik.org