Hunderttausende Menschen gingen heute in ganz Frankreich anlässlich der “Demonstrationen für die Freiheit” und “gegen das neue Sicherheitsgesetz” in ganz Frankreich auf die Straße. In einem Kontext, der von einer umfangreichen Berichterstattung über Polizeigewalt in den Medien geprägt war – von der brutalen Vertreibung des demonstrativen Camps der Migrant*innen und ihrer Unterstützer*innen vom Place de la République bis hin zur minutenlangen Misshandlung des Musikproduzenten Michel Zecler im 17. Arrondissement – war der Pariser Zug besonders riesig und entfaltete ein Konfliktniveau, wie es wahrscheinlich seit dem 16. März 2019 nicht mehr gesehen worden war.
Vor dem offiziellen Beginn der Demonstration sprachen die Familien der Opfer von Polizeigewalt nacheinander unter dem Transparent „Die Polizei verstümmelt, die Polizei mordet“. Die Familien gingen dann in mehreren verschiedenen Demonstrationsblöcken mit , einige im Frontblock mit Amal Bentounsi vom “Collectif urgence notre police assassine”, andere hinter einem großen Transparent „On marche pour nos libertés„, angeführt u.a. vom Komitee “Gerechtigkeit für Adama Traoré”, dem Kollektiv Vies Volées sowie dem Kollektiv Oliv’Vit’Haut. Auf diese Weise soll daran erinnert werden, dass die Bewohner von Arbeitervierteln seit mehreren Jahrzehnten als Labor für Repressionen dienten und auch heute noch die ersten Opfer von Polizeigewalt sind.
Noch bevor der Place de la Bastille im Rampenlicht stand, kam es gegen 16.00 Uhr an der Kreuzung Boulevard Beaumarchais und Rue du Pas de la Mule sowie auf der anderen Seite, der Rue du Pas de la Mule, zu Zusammenstößen. Baustellen-Absperrungen, Feuerwerkskörper, Kopfsteinpflaster, Molotow-Cocktails: Die ersten Angriffe auf die Bullen kündigten bereits ein besonders hohes Maß an Entschlossenheit ein. Ein Transparent zu Ehren von Diego Maradona, dem legendären argentinischen Fußballer und Symbol des antiimperialistischen Kampfes, wies den Weg. Diego es pueblo!
Nachdem die Ketten der Bullen auf beiden Seiten des Boulevards in die Querstraßen zurück gedrängt worden waren, legte die Demo ihren Vorwärtsgang wieder ein, wobei mehrere Luxusautos verbrannt und ein BMW-Autohaus zerlegt wurde. Sobald sie den Place de la Bastille erreicht hatten, setzten sich die Zusammenstöße fort, währenddessen alle Zugänge zum Platz verbarrikadiert wurden.
In diesem Moment erschien ein weiteres Transparent – „Darmanin, tu vas voir flou“ (Darmanin, du wirst verschwommen sehen), eine Anspielung auf den berühmten Artikel 24 des Loi Sécurité Globale, der darauf abzielt, die Ausstrahlung von Bildern von Polizeieinsätzen zu verbieten – währendessen rechts, am Eingang der Rue de la Bastille, ein neues Schlachtterrain entstand. Angriffe und Gegenangriffe bestimmten dann das Tempo des Abends, mit einigen direkten “Begegnungen”, bei denen die Polizei nicht immer die Oberhand behielt. Die Banque de France wurde ebenfalls ins Visier genommen, ihre Fenster zerstört und das Gebäude dann teilweise in Brand gesteckt.
Im Allgemeinen zeigten die Demonstranten einen außergewöhnlichen Kampfgeist und veranlassten die Ordnungskräfte bei mehreren Gelegenheiten zum Rückzug. Inmitten des Tränengases konnte ein einsamer Dichter, ausgerüstet mit seinem behelfsmäßigen Mikrofon, ihnen ironisch zuwerfen: „Buh! Eine weitere Niederlage! Sie sind schlimmer als der OM!” (Olympique Marseille, in Paris nicht besonders geschätzter Fussballclub, d.Ü.)
Die heutige Demonstration war aufgrund ihrer zahlenmäßigen Stärke, ihrer Offensivität, ihres Geistes der Revolte und der kollektiven Solidarität eine Demonstration der Stärke, die die weit verbreitete soziale Feindseligkeit nicht nur gegen das Sicherheitsgesetz, sondern auch gegen den autoritären Regierungsstil, gegen den staatlichen Rassismus, gegen Macron und seine Welt zeigte.
Das Video von Michel Zeclers Mißhandlung wirkte offensichtlich als Katalysator, so wie das Video von George Floyds Ermordung angesichts der Parallelität Zehntausende von Menschen dazu veranlasst hatte, als Reaktion auf die Aufrufe des Adama-Komitees vor dem Obersten Gerichtshof im Juni auf die Straße zu gehen. Ein weiteres Beispiel ist das Video das zeigte wie ein Jugendlicher vor dem Lycée Bergson von den Bullen verprügelt wurde, was wesentlich dazu beitrug, die Dynamik der Bewegung gegen das loi travail im Jahr 2016 zu befördern.
Die heutige Menschenmenge war eine der Situation angemessene Reaktion der Massen. Sie beweist, wie wichtig es ist, die Polizei weiterhin zu filmen und sich zu verteidigen, wie notwendig es ist, den Druck gegen diese jetzt in die Enge getriebene Regierung aufrechtzuerhalten, damit sie ihre Gesetze ein für alle Mal begraben kann.