Ein Gesetzentwurf gegen Nazis gefährdet antifaschistische Recherche

kopiert von netzpolitik.org

Vor allem Neonazis sammeln auf Feindeslisten Informationen über politische Gegner, das bringt Betroffene in Gefahr. Das Justizministerium will das Problem mit einem neuen Gesetz angehen, das könnte aber genau das Gegenteil bewirken und antifaschistische Recherche und Journalismus erschweren.

Wer schützt wen gegen was?

Über 25.000 Personen stehen auf der Liste der rechtsextremen „Nordkreuz“-Gruppe. In der „Wir kriegen euch alle“-Sammlung wurden Adressen von Aktivistinnen, Journalisten und Künstlern veröffentlicht, die sich gegen Rassismus engagieren. Auf Hetz-Seiten wie „Nürnberg 2.0“ stehen vermeintliche „Volksverräter“ am digitalen Pranger. Auch der damalige Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke stand auf einer Feindesliste, bevor er von einem Neonazi ermordet wurde. In einer dieser Listen zu landen, ist bedrohlich und gefährlich.

Das Bundesjustizministerium (BMJV) hat nun einen Gesetzentwurf vorgelegt, der den strafrechtlichen Schutz bei solchen Feindeslisten verbessern soll. Er soll eine von 89 Maßnahmen zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus umsetzen. Bis zu zwei Jahre Freiheitsstrafe drohen demnach, wenn jemand personenbezogene Daten über andere verbreitet und sie so der Gefahr aussetzt, dass sie beispielsweise Opfer eines Verbrechens werden. Bei „nicht allgemein zugänglichen Daten“ steigt das maximale Strafmaß auf drei Jahre.

Der Entwurf aus dem Haus von Justizministerin Christine Lambrecht macht keinen Unterschied, ob Daten im Internet verbreitet werden oder ob etwa auf Demonstrationen „Namen und Anschriften politischer Gegner bekanntgegeben werden, wodurch eine ohnehin aufgeheizte Stimmung in die Begehung von Straftaten umschlagen kann“. Ebenso ist unerheblich, ob es nur um das „Outing“ einer einzelnen Person oder eine Sammlung mehrerer Personen geht. Maßgeblich ist, dass sie „verbreitet“ werden.

Ab wann werden Daten verbreitet?

Doch nicht alle Feindeslisten landen in den Händen vieler Menschen, manche werden in Chatgruppen geteilt, manche konspirativ in einem kleinen Personenkreis erstellt. Sind sie auch von dem Gesetzentwurf erfasst? „Ob diese Daten ursprünglich für interne Zwecke gesammelt oder Listen zum Zwecke der späteren Verbreitung erstellt wurden, ist für den vorgeschlagenen Straftatbestand unerheblich“, sagt ein Sprecher des BMJV auf Nachfrage. Das könne auch bei vermeintlich geschlossenen Benutzergruppen der Fall sein, so der Sprecher. Aber: „Das Merkmal der Öffentlichkeit ist in jedem Einzelfall festzustellen.“

Demnach wäre fraglich, ob etwa die Todesliste der Terrorgruppe NSU oder die Adresssammlungen der Verdächtigen in der Neuköllner Anschlagsserie unter den Straftatbestand fallen würde. „Die absolute Mehrheit der rechten ‚Feindeslisten‘ wird nicht öffentlich, sondern konspirativ verbreitet“, sagt die Politikerin Katharina König-Preuss.

Die Thüringer Landtagsabgeordnete steht selbst auf mehreren Feindeslisten, seit Jahren engagiert sie sich gegen Rechtsextremismus und wird von Neonazis bedroht. „Als eine derjenigen, die bereits seit Jahren auf mehreren der sogenannten ‚Feindeslisten‘ steht, kann ich vor diesem Gesetzentwurf nur eindringlich warnen und an alle Verantwortungsträger appellieren, diesen Gesetzentwurf abzulehnen“, so König-Preuss gegenüber netzpolitik.org. „Er stellt in der Konsequenz keinen Schutz für Betroffene, sondern einen Angriff auf Betroffene schützende und informierende Strukturen dar.“

Antifaschistische Recherche in Gefahr

Damit meint König-Preuss beispielsweise antifaschistische Recherchegruppen, denn auch sie veröffentlichen seit Jahren immer wieder Informationen über Neonazis. Dazu gehören beispielsweise „EXIF“, die Details aus der Vergangenheit des Lübcke-Mörders aufdeckten. Die Freiburger Antifa enttarnte einen rechtsextremen Bombenbauer, der später festgenommen wurde. Viele weitere lokale Gruppen tragen seit Jahren viel Wissen über rechte Strukturen zusammen. Ab wann eine Verbreitung von solchen Informationen dazu geeignet wäre, die Betroffenen zu gefährden, lässt der Gesetzentwurf offen.

„Konsequent durchgedacht handelt es sich sogar um ein neues Verfassungsschutz-Schutzgesetz“, so König-Preuss. Es verhindere nicht nur unabhängige Recherche und öffentliche Aufklärung, „sondern der Staat – qua Gesetz der Verfassungsschutz – verbleibt als einzige Instanz, die ohne das Damoklesschwert der Strafverfolgung im Rücken künftig Informationen über Neonazis veröffentlichen dürfte.“

Auch die Bundestagsabgeordnete Martina Renner sieht die Gefahr, dass das Gesetz zur Verfolgung und Kriminalisierung von Journalist:innen und Antfaschist:innen führen wird. „Denn es war und ist doch eher so, dass aus Sicht von Polizei und Justiz diejenigen, die detailliert über Hintergründe und Zusammenhänge der weitläufig rechten Szene berichten, als ‚Nestbeschmutzer‘ und ‚Gefährder‘ betrachtet werden“, so die stellvertretende Vorsitzende der Linken gegenüber netzpolitik.org.

Information der Betroffenen weiter ungeklärt

Auch der Aktionskünstler Jean Peters steht auf einer der Feindeslisten und ist von dem Entwurf aus dem BMJV enttäuscht. „So wie das Gesetz ‚gegen Nazis‘ momentan geplant ist, kann es offenbar gegen all jene angewandt werden, die seit Jahren antifaschistische Arbeit leisten. Manchmal frage ich mich wirklich, ob das Ministerium sich von Nazis beraten lässt“, sagt Peters. Er kritisiert: „Eine der Hauptforderungen der Betroffenen, darüber informiert zu werden, wenn man auf so einer Liste steht, wurde ignoriert!“

Ob jemand erfährt, dass sie oder er auf einer Liste steht, hängt maßgeblich von den Polizeibehörden der Länder und deren Einschätzung ab. In Hessen beispielsweise informierte die Polizei Personen auf der „Wir kriegen euch alle“-Liste aktiv, in Baden-Württemberg passierte das nicht, recherchierte FAKT. Das BMJV verweist dabei darauf, dass bekannt sei, „dass Betroffene in unterschiedlicher Weise über die Existenz sie betreffender sogenannter Feindeslisten informiert werden“. Zuständig für die Gefahrenabwehrmaßnahmen, so ein Sprecher des Ministeriums, seien jedoch in erster Linie die Polizeibehörden der Länder.

Ab wann entsteht eine Gefahr?

Nicht nur antifaschistische Recherchen könnte der Entwurf gefährden, auch im Journalismus könnte er zu Unsicherheiten führen. „Führt etwa ein Dortmunder Lokaljournalist, der über das neue Luxusauto eines Schalker Profis berichtet, durch die Verbreitung personenbezogener Daten die Gefahr einer Sachbeschädigung herbei?“, fragt der Jurist Sebastian Golla bei verfassungsblog.de. In einem solchen Fall wäre eine strafrechtliche Verurteilung wohl unwahrscheinlich, so Golla. Die Einschüchterungseffekte seien aber nicht zu unterschätzen.

Um solche Probleme zu vermeiden, müsste der Gesetzgeber zwei Dinge sicherstellen, schreibt Christian Rath auf taz.de. „Erstens müsste eine subjektive Absicht verlangt werden, dass die Veröffentlichung der Daten zu Gewalttaten führt“, so Rath. Außerdem müssten Medienberichte und Beiträge zum politischen Diskurs ausgenommen werden, wenn sie lediglich Missstände benennen nicht zu Straftaten aufrufen. „Die Abgrenzung ist schwierig. Aber genau darauf kommt es an.“

Konsequentere Strafverfolgung statt neuer Gesetze

Das Gesetz umfasst also auf der einen Seite mehr als geplant und lässt auf der anderen Seite Probleme Betroffener ungelöst. Der grüne Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz weist darauf hin, dass konkrete Vorschläge zum Schutz von Betroffenen seit langem im Parlament vorliegen. Der neue Paragraf schieße jedoch weit übers Ziel hinaus und sei „mit der Meinungsfreiheit auf den ersten Blick nur sehr schwer in Einklang zu bringen“. „Kommt der Entwurf so ins Parlament wird man umfassend nachbessern müssen. Denn auch im Kampf gegen Rechtsextremismus sind Grundrechte zwingend zu wahren“, so der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen.

„Anstelle weiterer Gesetze, die am Ende Rechten in die Hände spielen zu erlassen, sollte der Staat dafür sorgen, dass zeitnah Anklagen gegen rechte Strukturen erhoben wird oder auch militanten Neonazi-Strukturen wie den Turonen in Thüringen nicht Deals, die Bewährungsstrafen anstelle Haftstrafen vorsehen, unterbreitet werden“, schreibt Katharina König-Preuss.

Auch Martina Renner kommt zu den Ergebnis, dass es zunächst konsequentere Strafverfolgung braucht: „Der Gesetzentwurf zur Strafbarkeit von Feindeslisten vermittelt den Eindruck von Aktionismus, hilft aber den Betroffenen solcher Listen nicht!“ Vielmehr sei es notwendig gewesen, die beispielsweise bei „Nordkreuz“ gefundenen Listen strafrechtlich zu ahnden und zu verfolgen. „Der Entwurf von Frau Lambrecht wird also eher eine Kriminalisierung derjenigen Menschen fördern, deren Daten gerade auf solchen Listen wie bei Nordkreuz enthalten sind, nicht aber den Kampf gegen Rechtsterroristen und Nazis“, schließt Renner.

Quelle: netzpolitik.org

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