Beitrag zum Hungerstreik der anarchistischen Gefährtin Natascia Savio in Italien. Kopiert von kontrapolis.info. Verteilt auf der Rigaer94-Demo in Hamburg.
Aus dem Flugblatt, das in Hamburg verteilt wurde:
Ich weiß, wen sie in die Gefängnisse stecken:
Die Armen und die Fremden. Jene, die keine billigen, unsichtbaren Arbeitskräfte sein wollen. Jene, die außerhalb des Gesetzes leben, weil sie nur die Wahl hatten zwischen Lohnsklaverei und Kriminalität.
Ich weiß wo diese Menschen leben müssen. In den Vierteln an den Rändern der Städte, von denen nicht gerne geredet wird und die, auch nur im besten Falle, mit den teuren öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen sind. Ich weiß, wie mit jenen umgegangen wird, die nichts zu entscheiden haben und die nicht zählen.
Und wer nicht akzeptiert, wer nicht wegguckt, wer sich wehrt, bekommt die Härte und Gewalt der Justiz des Staates zu spüren.
Aber wer sind diese Menschen? Diese Menschen, deren tägliches Geschäft es ist Haftbefehle zu verhängen und in bürokratischen Prozessen über andere Menschen richten.
Menschen, die sie nicht kennen und deren Konflikte und Probleme nicht die ihren sind und die sie niemals verstehen werden?
Die, die Menschen einsperren, ihnen jahrelange Haftstrafen aufbrummen und Leben zerstören, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.
Ich weiß nicht wo sie wohnen. Ich weiß nicht wie sie leben. Ich weiß auch nicht, ob sie jemals über ihre Privilegien nachgedacht haben.
Aber ich weiß, dass sie die Verantwortung, für das was sie tagtäglich tun,niemals ertragen könnten und sich deshalb hinter ihren Gesetzen und ihrer Bürokratie verstecken müssen.
Und doch! Auch sie müssen sich persönlich dafür Verantworten!
Ich weiß, das ich sie, ihre Gesellschaft und deren Ordnung nicht akzeptieren und respektieren werde.
Mit Hass & Geduld für die Revolte!
Solidarität mit der in Italien gefangenen Anarchist*in Natascia Savio!
Freiheit für Alle!
Statement ihrer Unterstützer*innen:
Wir möchten euch darüber informieren, dass die Anarchistin Natascia Savio, die in Italien im Knast sitzt, sich im Hungerstreik befindet.
Natascia wurde am 21. Mai 2019 zusammen mit Beppe und einem weiteren Mitstreiter im Zuge des Repressionsschlages „Prometeo“ verhaftet, der von der ROS („Spezielle Operative Gruppierung“) der Carabinieri durchgeführt wurde. Im Dezember 2019 wurde der dritte Mitstreiter aus der Haft entlassen. Die Hauptanklage lautet „Angriff mit dem Ziel des Terrorismus“, da sie für den Versand von drei Paketbomben verantwortlich gemacht werden, die im Juni 2017 bei den Staatsanwälten Rinaudo (Staatsanwalt in mehreren Prozessen gegen die antagonistische Bewegung und Anarchist*innen) und Sparagna (Staatsanwalt im Anti-Anarchist*innen-Prozess „Scripta Manent“) sowie bei Santi Consolo, dem damaligen Direktor der DAP („Abteilung für Strafvollzugsverwaltung“) in Rom, eintrafen. Natascia und Beppe sitzen derzeit wegen der Operation „Prometeo“ im Gefängnis, deren Prozess in Genua läuft. Am 10. Mai wurde Beppe im Rahmen eines anderen Ermittlungsverfahrens zu fünf Jahren Haft verurteilt, bei dem es um einen Brandsatz ging, der am 8. Juni 2016 gegen ein Postamt (A.d.Ü. die italienische Post ist in die Abschiebemaschinerie verwickelt) in Genua gelegt wurde. Natascia ist auch eine Angeklagte in dem Prozess der „Scintilla“-Operation , unter dem Vorwurf der „subversiven Vereinigung“. Auf Grund dieses Prozesses wurde sie gerade quer durchs Land transportiert. Sie wurde in den Süden, 900 Km entfernt von Anwält*innen, Mitstreiter*innen und Familie verlegt. Der Prometeo-Prozess findet per Video-Konferenz statt, in der Nat sich einen Ausschnitt ihres eigenen Prozesses angucken und sich nicht mit ihrer Verteidigung beraten kann. Nach verschiedener Schikanen ist Nat nun in den Hungerstreik getreten. Im folgenden Brief beschreibt sie ihre Situation:
Text der Anarchistin Natascia Savio zum Hungerstreik
S. M. C. V., 17. Juni 2021
– E MENO MALE CHE IN CAMPANIA SE MAGN‘ BBUONO! (Und es ist gut, dass wir in Kampanien gut essen!)
Hallo zusammen!
Ein kurzes Update.
Ohne eine Minute zu verschwenden, setzten sie mich in der Nacht nach der letzten „Scintilla“-Vorverhandlung [16. Juni] wieder in ein Flugzeug, um mich zurück an diesen beschissenen Ort, S. Maria Capua Vetere, zu schicken. Ich wusste, dass die Verlegung in den Norden nur eine vorübergehende Unterstützung war, aber ich dachte aufrichtig, dass ich noch etwas Zeit haben würde, genauso wie ich naiv hoffte, dass sie wenigstens die verschiedenen Anträge lesen würden, die ich und mein Anwalt für eine Verlegung in ein anderes Gefängnis eingereicht hatten. Seit dem Tag, an dem ich hierher verlegt wurde, vor drei Monaten, habe ich nicht mehr anständig mit meinem Anwalt kommunizieren können: Interviews wurden neu eröffnet, also keine Videoanrufe oder Telefonate auf Wunsch des Anwalts, Telefonate gibt es nur eines pro Monat, das 10 Minuten dauert, selbst für Angeklagte und selbst für solche, die 1.000 Kilometer vom Prozessort oder von zu Hause entfernt sind.
Wenn er Lust hat, kann der Gefängnisdirektor ein zweites außerordentliches im selben Monat gewähren, aber da es sich um ein Zugeständnis handelt, ist er natürlich nicht dazu verpflichtet, und mehr als zwei pro Monat sind auf jeden Fall nicht drin. Also 20 Minuten pro Monat, in einem kleinen, stickigen Raum, und zu einer bestimmten Uhrzeit und an einem bestimmten Tag, in der Hoffnung, dass Ihr Anwalt an diesem Tag im Büro sein wird.
Zwanzig Minuten pro Monat, seit anderthalb Monaten vor Beginn des Prozesses [für die „Scintilla“-Operation, in Turin] bis heute, wo der Prozess im Wesentlichen zu Ende ist. Es sind noch zwei Anhörungen übrig, vor dem Schlussplädoyer des Staatsanwalts, zwei Anhörungen, in denen es Überlegungen über spontane Aussagen, Verhöre und Kreuzverhöre hätte geben sollen, aber es scheint, dass ich allein überlegen muss. Auf den ersten Blick scheint es, als ob alles getan wird, um eine „würdige“ Verteidigung zu verhindern… oder besser gesagt, überhaupt eine Verteidigung… nur für den Fall, dass das übertriebene und krankhafte Kartenhaus der Staatsanwaltschaft zu knarren beginnt. Dann ist es für sie viel besser, wenn diese Möglichkeit, sich vor Gericht zu verteidigen, auf ein Minimum reduziert wird. Ich werde mich hier nicht damit aufhalten, wie Videokonferenzen perfekt zu dieser Strategie passen, darüber wurde schon viel diskutiert (wenn auch vielleicht nicht genug). Es ist bekannt, dass man, wenn man schlecht denkt, sehr oft Recht hat. Von den zwanzig Tagen, die ich in Vigevano verbracht habe, wurden fünfzehn in Einzelhaft und einer im Gericht verbracht, und weitere zwei Tage wurden damit verbracht, hin und her zu reisen… kurz gesagt, nicht einmal das war eine Gelegenheit, mit dem Anwalt zu sprechen, da in Einzelhaft keine Besucher erlaubt ist. Unnötig zu sagen, dass ich jetzt wieder in Quarantäne bin.
Also, lassen wir das ganze Gerede: Im klaren Bewusstsein der strafenden (und präventiven?) Strategie, die die DAP [„Department of Penitentiary Administration“- Strafvollzugsbehörde] gegen mich anwendet, und gleichzeitig voller Wut und Abscheu, habe ich beschlossen, dass ich – wenn ich schon keine Möglichkeit habe, mich konkret gegen ihre Rachelogik zu wehren – zumindest die Möglichkeit habe, sie es nicht mit meiner Mitarbeit machen zu lassen. Als ich am 16. Juni 2021 um 18 Uhr die Nachricht von meiner Rückkehr nach S. Maria Capua Vetere erhielt, kündigte ich sofort den Beginn eines unbefristeten Hungerstreiks an. Ich weiß, dass diese Entscheidungen nicht in der Kompetenz der Gefängnisverwaltung liegen, aber ich habe nicht vor, noch einen Bissen an diesem beschissenen Ort zu essen. Und es ist schade, denn die Käfig-Kamerad*innen machen ein paar Pizzen… aber ich habe wirklich keinen Hunger mehr!
Bis zum heutigen Tag hat mich kein Arzt untersucht oder gewogen.
Den Frauen um mich herum kommt es ein bisschen albern vor, ’na capata!‘, schließlich gibt es hier Menschen, die eine fine pena mai [lebenslange Haft ohne Möglichkeit der Entlassung] riskieren und diese Bedingungen ertragen… aber auch das ist eine andere Sache.
Ich weiß, dass einige von euch nie aufgehört haben, über Isolation und Zerstreuung nachzudenken… Es tut mir leid, dass ich nicht in der Lage bin, euch neue Tipps oder „innovative“ Ideen zu geben, aber in diesem Moment, in dem ich mich sehr plötzlich entschied, diese neue Herausforderung anzunehmen, konnte ich an nichts Besseres denken, als meinen Körper wieder zu benutzen, indem ich faste.
Ich habe diese paar Zeilen spontan geschrieben, im Zuge der gleichen emotionalen Welle des absoluten Ekels, die mich überfiel, als ich diese beschissenen Wände wieder sah. Ich hoffe, ich war nicht zu verwirrend.
Ich umarme alle ganz fest!
Mit leeren Bäuchen und hoch erhobenen Köpfen,
Salud y Anarquìa
Nat
PS(M) [Wortspiel zwischen dem PS des Postskripts und „PSM“, einem Akronym, das im Italienischen più sbirri morti, „mehr tote Polizisten“, bedeutet]:
Eine kleine Anmerkung zu dem Flugblatt, das zur Solidaritätskundgebung am 13. Juni vor dem Gefängnis von Vigevano aufruft. So sehr man sich in einem AS3 [„Hochsicherheitsgefängnis 3“] auch schlecht fühlen mag und die Bedingungen bedrückend sein mögen, in Bezug auf die, die wirklich dort sind, würde ich mich hüten, Parallelen zu 41 bis [dem restriktivsten Gefängnisregime in Italien] zu ziehen. Das war meiner Meinung nach wirklich ein bisschen deplatziert. Ich hoffe, dass sich dadurch niemand beleidigt fühlt, aber es war toll, von euch im Gefängnis zu hören!
Hass & Geduld!
Zeigen wir uns solidarisch mit Nat. Keine Rebell*in alleine in den Händen des Staates!
aktuelle Informationen finden sich auch hier: https://malacoda.noblogs.org