Übernommen aus der aktuellen Ausgabe von Sūnzǐ Bīngfǎ. Basierend auf eine Interview von ‘The Final Straw Radio (TFSR)’ mit Peter Gelderloos vom April 2022. Übersetzung des Transkript von Sūnzǐ Bīngfǎ.
TFSR: Ich freue mich sehr, mit dem anarchistischen Autor Peter Gelderloos sprechen zu können. Peters neuestes Buch “The Solutions are Already Here: Strategies for Ecological Revolution from Below” ist gerade bei Pluto Press erschienen, ich habe mein Exemplar gerade mit der Post bekommen. Ich freute mich riesig darauf, es zu lesen. Aber willkommen zurück in der Sendung, Peter.
Peter Gelderloos (PG): Danke, dass Ihr mich wieder eingeladen habt.
TFSR: Sich den Herausforderungen des zunehmenden Klimachaos und dessen Auswirkungen auf das Leben auf der Erde zu stellen, fühlt sich wirklich verdammt entmutigend an. Ohne die Idee einer zentralisierten, großartigen und technokratischen Antwort zu durchdenken – so wurde ich dazu erzogen, über große Probleme als große Lösungen nachzudenken – und das scheint nicht sehr wahrscheinlich zu sein, wenn die Industrieländer nicht einmal in der Lage sind, sich selbst auferlegte Beschränkungen bei der Produktion von Treibhausgasen einzuhalten oder etwa kostenlose Impfstoffe zu koordinieren und zu verteilen, um eine Pandemie zu verhindern.
Ich bin also sicher, dass ich nicht der Einzige bin, dem der Kopf schwirrt, wenn ich versuche, über die sich abzeichnende und bereits existierende Klimakatastrophe nachzudenken. Wie trägt dieses Buch dazu bei, den Rahmen und die Denkweise in Frage zu stellen, die von großen, zentralisierten Lösungen für die Probleme ausgehen, mit denen wir konfrontiert sind?
PG: Nun, wenn man sich die Geschichte des Umgangs der Staaten mit ökologischen Krisen ansieht, dann sind sie zunächst einmal sehr reduktionistisch. Sie reduzieren eine komplexe, vielschichtige ökologische Krise, die mit so vielen sozialen und ökologischen Problemen zusammenhängt, auf die Emissionen, die Treibhausgasemissionen, auf den Klimawandel. Und das tun sie zum großen Teil nicht nur, weil sie viele dieser anderen Probleme nicht wahrhaben wollen, sondern auch, weil Technokraten Probleme vereinfachen müssen, um sie auf Daten zu reduzieren, die in ihre Maschine reingesteckt werden können, richtig?
Obwohl sie es also nur auf das Klima reduzieren und sich der Gefahr des Klimawandels bewusst sind – die US-Regierung hat ihn bereits in den 1960er Jahren als nationales Sicherheitsproblem erkannt -, haben sie darauf mit der Militarisierung der Grenzen und dem verstärkten Einsatz des Militärs bei so genannten Katastrophen, Naturkatastrophen und dergleichen reagiert. Und dann haben sie auch noch große Vereinbarungen getroffen, die genau Null zur Verlangsamung der Treibhausgasemissionen beigetragen haben.
Selbst im Rahmen ihres Reduktionismus leisten sie also keine gute Arbeit, wenn es um den einen Teil des Problems geht. Und der andere Teil des Problems, den sie anerkennen, ist eigentlich schlecht für uns: die Aufstockung der Streitkräfte, die Militarisierung der Grenzen und all das. Sie betrachten das Problem also mit Interessen, die den Interessen von Lebewesen wie uns diametral entgegengesetzt sind. Den größeren Teil davon müssen sie ignorieren, und von dem Teil, den sie betrachten, machen sie die Hälfte nicht richtig, und mit der anderen Hälfte gehen sie auf eine Weise um, die uns aktiv schadet.
Bei vielen dieser sogenannten „Naturkatastrophen“ haben wir auch gesehen, dass die wirksamsten Maßnahmen zur Rettung von Menschenleben vor Ort getroffen werden. Es sind nicht die Streitkräfte, es sind die Nachbarn, es sind ganz normale Menschen, die sich spontan nach der Logik der gegenseitigen Hilfe organisieren. Das ist es, was am meisten Leben rettet, das haben wir immer und immer wieder gesehen.
Und natürlich sind wir darauf konditioniert, uns darauf zu verlassen, dass die Regierung die Dinge für uns löst, oder, Sie wissen schon, große Konzerne, Techniker wie Elon Musk oder wer auch immer. Und das liegt zum großen Teil daran, dass wir in eine Situation der Abhängigkeit, Passivität und Unbeweglichkeit gezwungen sind. Das ist normalerweise eine sehr deprimierende Situation, und es ist eine noch deprimierendere Situation, wenn wir sehen, wie die Welt um uns herum stirbt. Und so ist es völlig kohärent und im Einklang mit dieser erzwungenen Abhängigkeit und erzwungenen Unbeweglichkeit, entweder einfach wegzuschauen oder die Finger zu kreuzen und zu hoffen und zu beten, dass irgendeine große gottähnliche Figur daherkommt und das Problem für uns löst. Aber es ist diese große gottgleiche Gestalt, die das Problem verursacht hat und das Problem weiter verschlimmert.
Intelligente Problemlösungen kommen also von Menschen, die sich vor Ort auskennen, die mit ihrem Gebiet vertraut sind und wissen, welche Ressourcen ihnen zur Verfügung stehen. Und sie sind ebenso global, sie kommen einfach aus dem Territorium, sie kommen von unten, und nicht aus Vorstandsetagen oder Konferenzräumen, wo sie nicht auf das Territorium schauen, sondern auf Karten. Und sie schauen vor allem auf ihre eigenen Interessen, die Kontrolle zu behalten. Denn ihre Fähigkeit, irgendetwas als Reaktion auf das Problem zu tun, beruht in der Tat auf unserer Unbeweglichkeit, unserer Abhängigkeit und unserer erzwungenen Passivität.
TFSR: Es gibt also fast so etwas wie ein Stockholm-Syndrom, das viele von uns – durch die Sozialisierung durch den Staat – haben, bei dem wir die Methoden und Impulse der Regierung in beängstigenden Situationen als etwas Rettendes ansehen, im Gegensatz zu einer Art Aufstandsbekämpfung, die ständig zur fortgesetzten Gewinnung von Ressourcen betrieben wird.
PG: Auf jeden Fall. Und ich bin froh, dass du die Aufstandsbekämpfung angesprochen hast, denn das ist eine der wichtigsten theoretischen Linsen, die man benutzen kann, um sowohl die ökologische Krise als auch die Reaktionen von Regierungen, Unternehmen und NGOs auf diese Krise zu verstehen.
TFSR: Was an diesem Buch so erfrischend ist, ist die radikale Kritik an der westlichen Zivilisation, die für viele der Probleme verantwortlich ist, die wir heute erleben. Ich schätze es, dass du gleich zu Beginn versuchst, die falsche Vorstellung zu untergraben, dass die menschliche Natur die Ursache für die Zerstörung ist, die wir um uns herum erleben, oder dass es zu viele von uns oder zu viele von bestimmten Arten von uns auf dem Planeten gibt. Können wir über die Ideen des Anthropozäns oder über Argumente im Zusammenhang mit der Überbevölkerung sprechen und darüber, warum sie bei der Suche nach den Ursachen des anthropogenen Klimawandels und der Suche nach Lösungen für das Gleichgewicht in der Welt eine Art Irreführung darstellen?
PG: Ja, den Menschen gibt es schon sehr lange, je nachdem, wann genau man den Beginn des modernen anatomischen Menschen ansetzt, zehntausende, hunderttausende von Jahren. Hominiden mit ähnlichen Fähigkeiten gibt es schon länger. Und das Problem der Zerstörung der ökologischen Grundlagen für das Leben auf diesem Planeten, für sehr viele Arten, ist ein aktuelles Problem. Und selbst das Problem, den ökologischen Kollaps in nur einer Bioregion zu verursachen, ist in der erweiterten Zeitachse ein junges Problem, das vielleicht viertausend Jahre alt ist, einige der frühesten Beispiele. Und, noch einmal, einige Leute – weil uns beigebracht wird, die menschliche Geschichte auf diese Weise zu betrachten, die letztendlich sehr weiß-vorherrschend ist, aber sich auf die Geschichte der Staaten konzentriert – einige Leute nehmen das so auf, dass es bedeutet: „Oh, nun, in den letzten viertausend Jahren haben die Menschen die Umwelt zerstört. Das ist also relevant.“ Nein, in den letzten viertausend Jahren haben die Menschen die Umwelt nicht zerstört. Eine sehr kleine Anzahl von Menschen hat das bis vor kurzem auf einem sehr kleinen Teil unseres gesamten Territoriums getan. Und überall auf der Welt haben sich die Menschen dagegen gewehrt, gewaltsam in dieses neue westliche Modell des Menschseins aufgenommen zu werden. Es gibt Beispiele dafür, dass auch nicht-westliche Kulturen ihren Boden, ihre Wälder und ihr Ökosystem zerstört haben, aber sie waren nicht annähernd so gut darin wie die westliche Zivilisation, und das ist das vorherrschende Modell, über das wir sprechen sollten.
Die andere Frage ist relevant für die theoretische Übung: „Okay, was genau sind die zerstörerischeren oder die gesünderen Formen sozialer Organisation?“, aber in der gegenwärtigen Medienlandschaft werden die meisten Leute an dieser Stelle die etwas triviale Tatsache erwähnen, dass vielleicht vor zweitausend Jahren oder vor tausend Jahren auf einem anderen Kontinent eine ganz und gar nicht westliche Gesellschaft ebenfalls große Erosionen verursacht hat. Und das ist nur ein Ablenkungsmanöver von der Tatsache, dass das Problem, das uns derzeit umbringt, die westliche Zivilisation ist.
Es gibt also Werke, zum Beispiel Fredy Perlmans ‘Against Leviathan’, die versuchen, das Problem breiter zu definieren, aber in der Situation, in der wir uns gerade befinden, in der das Artensterben immer schneller voranschreitet, in der Millionen von Menschen bereits jedes Jahr aufgrund der Auswirkungen dieser ökologischen Krise sterben und so viele Menschen ihre Häuser, ihr Land und ihren Zugang zu gesunden Lebensmitteln verlieren, ist das Problem die Zivilisation, der moderne Staat, das kapitalistische System, das in Europa entstanden ist, und gleichzeitig mit diesem Prozess die Massenversklavung in Afrika und die Masseninvasion, die Kolonisierung und der Völkermord in Amerika, in Afrika und in Asien und Australien. Genau das ist das Problem.
Wenn man Kriterien heranzieht, die über die Treibhausgasemissionen hinausgehen, wird sehr deutlich, welches Gesellschaftsmodell uns alle in Gefahr bringt. Und selbst wenn man es nur auf die Treibhausgasemissionen reduziert, vermeidet man es irgendwie, die historischen Wurzeln der sozialen Maschinerie zu betrachten, die so viel Tod und Zerstörung verursacht. Aber es ist immer noch sehr klar, dass die westliche Zivilisation und das Wirtschaftsmodell, das sie dem Rest der Welt aufgezwungen hat, das Problem sind.
TFSR: In Ihrem Buch sagen Sie auch, dass wir die Wissenschaft kritisieren müssen, weil sie so sehr von den Institutionen geprägt ist, die sie ausüben, finanzieren und befehlen. Können Sie darüber sprechen und wie sich das von einer anti-rationalen Ablehnung der Wissenschaft um der Glaubensstrukturen willen oder von antimodernistischen Ansätzen einiger zivilisationskritischer Perspektiven unterscheidet? Und vielleicht kannst auch darüber sprechen, wie du unsere Bewegungen oder Bewegungen, die du in diesem Rahmen inspirierend findest, dabei beobachtet hast, wie sie ihre eigene Wissenschaft erschaffen und erfinden?
PG: Ja, ich meine, zunächst einmal, vielleicht ist das eher semantisch gemeint, aber ich denke, dass eine Kritik des Rationalismus als Weltanschauung wichtig ist. Aber dann wiederum meinen verschiedene Leute sehr unterschiedliche Dinge damit.
Um also auf deine Frage einzugehen: In der Praxis, in der realen Welt, kann die wissenschaftliche Methode nicht von den wissenschaftlichen Institutionen getrennt werden, die gegenwärtig den größten Teil der Wissensproduktion mit Hilfe der wissenschaftlichen Methode in dieser Welt, in der wir leben, kontrollieren oder verwalten. Weisst du, ich liebe Science-Fiction, wir können uns andere Welten vorstellen, aber das ist der Fall in der Welt, in der wir leben.
Meiner Meinung nach ist es wichtig, anzuerkennen, dass die wissenschaftliche Methode eine sehr gültige Methode für die Wissensproduktion ist, für falsifizierbare objektive Daten. Ich denke, es ist auch wichtig zu erkennen, dass dies nicht die einzige Art von Wissen ist. Es gibt viele andere Arten von Wissen, die nicht mit der wissenschaftlichen Methode erzeugt werden können und auf die wir stoßen… Zunächst einmal hat sich kein mir bekanntes soziales System in der Weltgeschichte jemals ausschließlich auf diese Art von Wissen gestützt. Und unsere gegenwärtige „rationalistische“ Gesellschaft – ich spreche von Rationalismus als einer Art mythischer Weltanschauung – verwendet eine Menge nicht falsifizierbarer und subjektiver Informationen, tut aber so, als ob sie das nicht täte, als Teil dieser Mythologie. Das ist sehr, sehr wichtig für bestimmte Leute, Akademiker und so weiter.
Es ist also wichtig zu erkennen, dass dies nicht die einzige Form des Wissens ist. Und, um ein kurzes Beispiel dafür zu geben: Wir können das sogar sehen, wenn wir über die Bedeutung von zum Beispiel emotionalem Wissen hinausgehen. Wie man mit Menschen umgeht, mit anderen Menschen in Gruppen, wie man sich um Menschen kümmert, weißt du, das ist etwas, das tatsächlich unglaublich wichtig ist. Und es ist erstaunlich, wie leicht das auf der Strecke bleiben kann, weil es nicht auf Zahlen reduziert wird.
Betrachten wir zum Beispiel die Gesundheitsversorgung. Es gibt Formen der Gesundheitsfürsorge, die mit der wissenschaftlichen Methode viel leichter zu bewerten sind. Und es gibt Formen der Gesundheitsfürsorge, die mit der wissenschaftlichen Methode sehr viel schwieriger zu bewerten sind. Herauszufinden, was passiert, wenn man einem Menschen ein Medikament verabreicht, ist viel einfacher zu bewerten, weil die Person, die das Medikament verabreicht, nichts darüber wissen muss. Und sie müssen auch nichts oder kaum etwas über die Person wissen, der sie das Medikament verabreichen. Und das ist sozusagen der Sinn dieser ganzen Behandlungsmethodik. Andere Behandlungsformen hingegen erfordern eine viel subjektivere Herangehensweise, eine viel stärker modellierte Herangehensweise an die Besonderheiten der Person, die behandelt wird, und sie erfordern eine viel stärker ausgeprägte Kompetenz, um die Therapie auf wirksame Weise durchführen zu können.
Das ist also nicht der Fehler der Therapie, dass sie nicht so gut mit der wissenschaftlichen Methode bewertet werden kann. Das ist eine Einschränkung oder ein Fehler der wissenschaftlichen Methode. Aber wir leben in einer Gesellschaft, die so mechanisiert ist und die es liebt, Wissensforen zu haben, die in die Maschine gesteckt werden können und die Zahlen ausspucken. Es ist also eine Gesellschaft, die sehr stark auf mechanischer Reproduktion basiert. Diese Art von Gesellschaft wird die Behandlungen bevorzugen, die mit der wissenschaftlichen Methode bewertet werden können, und sie wird die Behandlungen, die das nicht können, benachteiligen, entmutigen oder verstecken. Und es vergeht kein Jahr, in dem wir nicht herausfinden, wie schädlich eine bestimmte Form von Medikamenten war, oder wie schädlich diese Blindheit gegenüber bestimmten Formen der Therapie und Pflege war.
Und das entkräftet nicht die wissenschaftliche Wissensproduktion, aber es spricht sicherlich die Frage der sozialen Maschinerie an. Es geht um mehr als nur die Frage: „Können wir das testen? Ist es gültig oder nicht?“ Es geht darum, dass wir das in der Praxis nicht von der Frage der sozialen Maschinerie trennen können.
Was hat das mit der ökologischen Krise zu tun? Ich habe bereits erwähnt, dass eine vielschichtige, sehr umfassende, sehr komplexe ökologische Krise auf den Klimawandel reduziert wird. Das ist symptomatisch für das, wovon ich spreche. Der Klimawandel ist etwas, das sich leichter quantifizieren lässt. Wir können ihn anhand der Temperatur messen, wir können ihn in der Konzentration von Kohlendioxid in Prozent messen, wir können ihn anhand von Emissionen messen. Dinge wie das, was ich über den Ort weiß, an dem ich lebe, was ich über die Gesundheit des Bodens an dem Ort weiß, an dem ich in den letzten sieben oder acht Jahren gelebt habe, kann ich hingegen nicht quantifizieren. Aber ich weiß es, glaube ich, viel besser als jemand, der vorbeikommt und eine Probe aus einem Labor nimmt und sie testet, aber dann keine weitere Beziehung zu dem Land hat. Jemand, der sich nicht um diese Olivenbäume kümmert oder einen Garten anlegt, Jahr für Jahr, und sich fragt, wann der Regen kommt, und der es in seinen Knochen spürt, wie dieses Gebiet austrocknet. Und dass wir jetzt etwas tun müssen, und zwar schnell, denn das Klima wird immer mehr zu einer Wüste. Denn es gibt tote Wüsten, und es gibt lebende Wüsten. Und dieses Land hier, in dem ich lebe, wird entweder die eine oder die andere werden, je nachdem, was wir tun.
Und die Leute in den Labors hinken weit hinterher, und sie haben viel weniger zu bieten. Sie haben einiges zu bieten, z. B. gibt es sicherlich Momente, in denen meine Gartenarbeit und die Gartenarbeit anderer Leute durch den Zugang zu diesem chemischen Test aus dem Labor ergänzt werden kann. Und weißt du, es wäre großartig, diese Art von Komplementarität zu haben, sogar Solidarität auf dieser Ebene zu haben. Aber in der Regel ist das nicht möglich, weil unsere Wissenssysteme mit Sprit gefüttert werden, weil wir von den Ressourcen ausgeschlossen sind, die wir bräuchten, um Zugang zu diesem Wissen zu bekommen, und weil die Leute in den Labors im Allgemeinen keine Ahnung haben, wovon sie reden, und denken, sie hätten Zugang zu einer absoluten, allumfassenden Wahrheit. Und das ist problematisch.
Also ja, es gibt durchaus eine Möglichkeit – ich meine, es sollte einen großen Dialog zwischen verschiedenen Arten von Wissen geben, einschließlich des Wissens, das durch die wissenschaftliche Methode erzeugt wird – aber davon haben wir jetzt nicht viel. Und wenn man sich anschaut, wie sich die Geschichte tatsächlich entwickelt hat, dann waren die Daten, die von mächtigen wissenschaftlichen Institutionen in Bezug auf den Klimawandel produziert wurden, nicht per se falsch – sie waren in groben Zügen richtig, wie sie seit einiger Zeit vorhersagen, was passieren wird, und es ist passiert – aber sie waren ziemlich konservativ. Immer wieder waren sie in ihren Vorhersagen viel zu optimistisch, und die von ihnen gesetzten roten Linien oder Warnmarken oder Benchmarks oder was auch immer werden überschritten, sie werden Jahre und Jahrzehnte vor ihren jeweiligen Vorhersagen überholt.
Was also die Genauigkeit ihrer Vorhersagen angeht, so haben sie sehr genaue Vorhersagen. Wenn ich mir den Boden und die Regenwolken ansehe, oder jemand, der sein ganzes Leben dort gelebt hat und Zugang zu viel älterem Wissen hat, zu dem ich keinen Zugang habe, wird er nicht in der Lage sein, eine hochpräzise Vorhersage zu treffen, wie z. B. „Okay, in 20 Jahren wird das passieren“, aber ich denke, er wird eine viel genauere Vorhersage treffen. Die wissenschaftlichen Institutionen hingegen haben eine hohe Präzision und eine geringe Genauigkeit. Sie haben sich also auf gefährliche Weise geirrt, immer und immer wieder. Und ich glaube nicht, dass das ein Zufall ist, wenn man ihre Nähe und Affinität zu den Institutionen bedenkt, die am direktesten für die Zerstörung des derzeitigen globalen Ökosystems verantwortlich sind.
TFSR: Ja, ich denke, das ist eine gute Klarstellung, dass es sich um Wissenssysteme und nicht um Wissenschaften handelt. Und wie du sagst, scheint es, dass die westliche Zivilisation oder die Organisationen, die in ihr arbeiten, das Bedürfnis haben, rechenbare Zahlen und Quantitäten zu haben, die sie in ihre Berechnungen einsetzen können. Das würde nicht nur die Informationen einschränken, sondern wahrscheinlich auch die Menschen blenden, die die Messungen vornehmen, selbst wenn sie versuchen, die richtigen Messungen vorzunehmen, um die tatsächlichen Ergebnisse zu sehen.
Der Ansatz, das System zu betrachten und zu versuchen zu sagen, dass alle diese Systeme und ihre Wechselbeziehungen zueinander unter einen Oberbegriff fallen können, den wir „Zivilisation“ und ihren kolonialen Impuls oder „westliche Zivilisation“ und ihren kolonialen Impuls nennen, wenn die Leute eine so umfassende Kritik sehen, werden sie oft sagen: „Ah, aber es gibt Dinge, die wir von diesem System bekommen haben“, das werden sie sagen. Sie werden sagen, dass der Kapitalismus die Innovation und die Schaffung bestimmter Arten von Wissen oder bestimmter Arten von Technologie vorangetrieben hat, die dem menschlichen Leben in vielerlei Hinsicht zugute gekommen sind. Ein Beispiel, auf das sie verweisen können, ist die medizinische Wissenschaft. Und wie du sagtest, gibt es einige Behandlungen, die sich weniger als Behandlungen denn als Gifte erwiesen haben. Es ist nicht sicher, dass die medizinische Wissenschaft Probleme lösen wird, aber es gibt viele Technologien, die im Laufe der Jahrhunderte entwickelt und angewandt wurden und positiv sind. Und ich könnte mir vorstellen, dass jemand sagt: „Nun, soll ich mich entscheiden zwischen der gegenwärtigen Struktur und kleinen Reformen innerhalb dieser Struktur, oder soll ich eine Art revolutionäre Veränderung der Produktionsmodelle, der Verteilung der Ressourcen und der Kapazität zur Herstellung dieser Technologien unterstützen, die mein Leben retten oder es mir ermöglichen, mobil zu sein oder das Leben zu verlängern“, zum Beispiel für Menschen mit sehr ernsten medizinischen Problemen?
Es gab zum Beispiel Kritik an der modernen Zivilisation, die aus den Anfängen von ‘Earth First’ oder anderen pro-ökologischen Bewegungen kam, die nicht unbedingt den Menschen als Problem sehen, sondern die technologische Entwicklung – und die Wissenschaften und das Wissen, das daraus entsteht, nicht um zu sagen, dass sie nur daraus produziert werden, sondern die dort angewendet werden. “Wenn zum Beispiel die Regierung versagt oder die Wirtschaft zurückfährt, kann ich meine Medikamente nicht mehr bekommen und muss vielleicht sterben“. Können wir ein wenig über die Zurückhaltung sprechen, die jemand hat, wenn er versucht, sich einem Rückgang der Wirtschaft und des Staates zu nähern, weil er Angst hat, dass die Sicherheitsnetze, die es derzeit für ihn gibt, nicht mehr vorhanden sind und er das nicht überleben würde?
PG: Ja, das ist definitiv ein sehr legitimer Weg, um Fragen des sozialen Wandels anzugehen. Und ich glaube, es ist sogar sehr wichtig, dass wir unsere eigenen Körper, unsere eigenen Erfahrungen und Bedürfnisse einbeziehen, wenn wir über Vorschläge für weitreichende soziale Veränderungen und den Kampf im Allgemeinen sprechen.
Ich denke, es hilft, vor allem zwei verschiedene Dinge zu berücksichtigen. Das eine ist, dass, wenn wir aus dem Rahmen des Individuums ausbrechen – was, wie ich schon sagte, das Anliegen, das du vorbringst, sehr wichtig ist -, es auch eine Variante dieses Anliegens gibt, die sehr gefährlich ist. Denn wenn wir die westliche Zivilisation kritisieren, weil wir wissen, wie viele Menschen sie tötet, wie viele Millionen Menschen aufgrund dieses Modells verhungern, wie viele Wälder und Ökosysteme zerstört werden, dann kann das gefährlich sein. Man sollte auf keinen Fall nach dem Motto verfahren: „Entweder wir oder sie, jemand muss in dieser Situation sterben“.
Ich denke also, dass wir uns zunächst einmal von jeder Art von individualistischer oder wettbewerbsorientierter Auffassung dieses Problems lösen müssen. Wenn wir das Problem systemisch betrachten oder Gesundheit als kollektives Gut ansehen, sind die gesündesten Möglichkeiten für die menschliche Gesellschaft diejenigen, bei denen die Menschen eine gesunde, wechselseitige Beziehung zu ihrer Umwelt haben. Sie haben Zugang zum Gemeingut, sie haben Zugang zu einer sehr vielfältigen und gesunden Ernährung, die lokal angepasst ist. Das ist eine Technologie ohne surrende Geräte, Lichter und Schnickschnack, sondern die Technologie, mit der wir unser Überleben gemeinsam mit den anderen Organismen um uns herum, mit den anderen Lebewesen um uns herum, aufbauen können. Viele dieser Technologien gibt es immer noch. Ohne Kolonialismus, mit Zugang zu diesem Gemeingut, mit Zugang zu dieser Art von verwurzelter, territorialer, volkstümlicher und ökologischer Technologie ist das die beste Hoffnung, die eine menschliche Gemeinschaft für die Gesundheit hat. Auf ein möglichst gesundes Leben für alle ihre Mitglieder. Das ist also eine Sache, die man meiner Meinung nach wirklich anerkennen muss. Dass wir in einem System leben, das Krankheit und Tod produziert, und das ist ein großes Problem, das wir nicht unter den Teppich kehren können.
Die andere gute Sache ist, dass, wenn wir die Regierungen und den Kapitalismus zerstören, alles, was sie besitzen, alles, was sie denken, dass es ihnen gehört, alles, womit sie uns erpressen – weil sie den Zugang dazu kontrollieren und wir unser Leben damit verbringen müssen, zu arbeiten, um zu versuchen, ein kleines Stück davon zu bekommen – es wird unser sein. Und wenn erst einmal all die reichen Leute weg sind, und wenn erst einmal alle Polizisten und Politiker weg sind, wird all das uns gehören. Und wir können beschließen, es loszuwerden, wir können beschließen, es zu behalten, wir können beschließen, es unter viel besseren Bedingungen selbst herzustellen. Dinge wie Medikamente werden wir natürlich weiterhin herstellen, und wir werden Wege finden, sie gesünder herzustellen, wir werden produktive Prozesse finden, die weniger umweltschädlich sind. Und wir werden auch unsere Lebensbedingungen so verändern, dass so wenige Menschen wie möglich Zugang zu diesen Technologien brauchen, aber diejenigen, die ihn brauchen, werden ihn bekommen.
Und dann sind wir auch gezwungen, uns mit anderen Technologien zu befassen, wie z.B. mit Atomreaktoren und Atombomben, die uns der Staat leider auferlegt hat, mit der Notwendigkeit, diese auf die bestmögliche Weise zu vermitteln, denn sie werden nicht für immer verschwinden. Einige dieser radioaktiven Stoffe werden noch Milliarden Jahre lang vorhanden sein, also „Danke, Regierung!“ Aber wir werden besser damit umgehen können als sie. Weil wir uns um uns kümmern. Und weil wir eigentlich gut organisieren können, wenn wir die Chance dazu haben. In den USA ist jedes einzelne Atommülllager irgendwann einmal undicht geworden. Sie sind also schlecht darin, und sie tragen auch die Schuld daran. An meinen schlimmsten Tagen stelle ich mir vor, sie alle in ein Atomlager zu sperren, das hätte etwas von poetischer Gerechtigkeit.
Aber wenn man die Sache realistischer betrachtet und sich die Frage nach unseren Bedürfnissen stellt, dann wird das alles uns gehören, in guten wie in schlechten Zeiten, und wir werden herausfinden, wie wir für uns sorgen können. Und wir werden es viel besser machen. Auch wenn es in letzter Zeit in unseren Bewegungen ziemlich deprimierend ist, weil wir, glaube ich, ein bisschen zu viel von dem System lernen, in dem wir leben, und wir machen, offen gesagt, oft einen ziemlich schlechten Job, wenn es darum geht, für uns zu sorgen. Aber wir können es viel besser machen, als es der Staat oder der Kapitalismus je könnten.
TFSR: Ja, und sie hatten bereits die Gelegenheit, das zu beweisen. Und es gibt tonnenweise Leute, die, was die Verteilung von Behandlungsmethoden oder COVID-Impfstoffen oder was auch immer angeht, bewiesen haben, dass es nicht in ihrem Interesse ist, sondern dass es tatsächlich in ihrem Interesse ist, großen Teilen der Bevölkerung eine Reihe dieser Dinge zu verweigern, damit sie den Preis in die Höhe treiben und mit weniger mehr Geld machen können.
PG: Ja.
TFSR: Einige der inspirierendsten Teile des Buches waren für mich die Beispiele des Widerstands gegen Megaprojekte, gegen die Ausweitung des kolonialen Extraktivismus sowie gegen einige der alternativen Bewegungsexperimente und Infrastrukturen, die Sie hervorheben und von denen du Beiträge erhalten hast, was großartig ist. Gab es welche, die du gerne aufgenommen hättest, für die du aber keine Zeit hatten, und die du vielleicht mit dem Publikum teilen möchten?
PG: Ähm, da gibt es definitiv einige. Es gibt einige Fälle, in denen ich nach Interviews gesucht habe und nicht in der Lage war, mit den Genossinnen und Genossen in Kontakt zu treten, die aus persönlicher Erfahrung über diese Kämpfe sprechen könnten, oder ich konnte zwar Kontakt aufnehmen, aber sie waren letztendlich zu beschäftigt, um Interviews zu geben, weil die Dinge ziemlich schwierig sind. Ich kann also einige von ihnen nennen, vielleicht damit die Leute mehr darüber erfahren, aber ich werde nicht näher auf sie eingehen, weil ich nicht genug über sie erfahren konnte.
In der Bewegung in Kurdistan zum Beispiel ist ein ökologischer Schwerpunkt ein großer Teil der Analyse. Und es handelt sich um ein Gebiet, das durch den Krieg, die Wüstenbildung und die erzwungene Verarmung durch die verschiedenen Länder, die verschiedenen Staaten, die Kurdistan kontrollieren, sehr geschädigt wurde. Und ich weiß, dass einige Freunde geholfen haben, ein Buch über einige der Erfahrungen herauszugeben, mit denen sie versucht haben, die Wüste zum Blühen zu bringen. Aber ja, die Genossen, es war natürlich eine harte Zeit dort drüben, also waren die Genossen nicht in der Lage, ein Interview darüber zu geben. Das hat es also nicht in das Buch geschafft.
Mal sehen… Es gibt viele, viele sehr interessante Kämpfe in Indien. Ich habe einige von ihnen auf der Grundlage bereits veröffentlichter Recherchen erwähnt, aber ich konnte keine Interviews mit Genossen dort arrangieren. Indien ist interessant, weil es sehr, sehr unterschiedliche Erfahrungen mit der Aufforstung gibt, was wiederum zeigt, dass wir den Medien nicht wirklich trauen können, dass wir den Regierungen nicht trauen können, wenn sie über dieses Thema sprechen. Denn Wiederaufforstung bedeutet etwas völlig anderes, je nachdem, wer es sagt, und viele Formen der Wiederaufforstung sind sehr, sehr schlecht für die Umwelt. Das sind im Grunde Dinge, die eine Regierung wie die chilenische tun wird, um als Land mit negativen Kohlenstoffemissionen zu gelten, damit sie mit dem Kohlenstoffhandel Geld verdienen kann. In Chile ist die Wiederaufforstung eine industrielle Aktivität, die schlecht für die Umwelt, den Boden und den Grundwasserspiegel ist. Und es ist eine koloniale Aktivität, denn sie findet auf dem Land indigener Völker statt, die versuchen, ihr Land zurückzugewinnen. Und ein wichtiger Teil dieses Prozesses ist der Versuch, ihre Ernährungsautonomie zurückzugewinnen.
Wälder sind also wichtig. Und Wälder können auch essbare Wälder sein. Diese Kiefernplantagen, diese Monokulturen aus Kiefern und Eukalyptus, die von den offiziellen Institutionen gepflanzt werden, sind definitiv keine Wälder für die Ernährung. Niemand kann sich von ihnen ernähren. Aber auch landwirtschaftliche Flächen sind für viele Menschen wichtig, um sich zu ernähren. Und die offizielle Aufforstung, die in Chile stattfindet, wird oft als Waffe gegen den Kampf der Indigenen eingesetzt, gegen den Kampf zum Beispiel der Mapuche für Ernährungsautonomie, dafür, dass sie ihr Land zurückbekommen und sich selbst von ihrem Land ernähren können, indem sie traditionelle Technologien und moderne oder westliche Technologien, die sie anpassen wollen, nutzen. Das liegt an ihnen. Und in dem Maße, in dem sie das tun können, in dem Maße, in dem sie Ernährungsautonomie haben, haben sie eine weitaus größere Fähigkeit, sich gegen den kolonisierenden Staat zu wehren, weil sie nicht mehr vom globalen Kapitalismus abhängig sind. Und sie sind nicht mehr von dem Staat abhängig, der sie kolonisiert.
Und so gibt es in Indien einige wirklich beeindruckende Beispiele, die zeigen, wie ineffektiv und auch wie schädlich staatliche Bemühungen um Massenaufforstung sind, wie sie nur auf diesen technokratischen Impuls reagieren, um Zahlen auf dem Papier zu produzieren – während es vor Ort eine völlig andere Geschichte ist – im Gegensatz zu Gemeinschaften. Viele von ihnen sind indigene Gemeinschaften, die sehr, sehr effektive, groß angelegte Formen der Aufforstung durchgeführt haben, die die Gesundheit der Böden verbessern, die die Möglichkeiten für eine autonome Ernährung und die Lebensqualität erhöhen, und die dazu beigetragen haben, robustere Ökosysteme mit Lebensraum für andere Arten und nicht nur für Menschen zu schaffen. Ich würde also gerne eines Tages Genossinnen und Genossen treffen, die daran beteiligt sind, denn dort finden einige wirklich mächtige Kämpfe statt.
TFSR: Nun, du hast die Einladung in das Buch aufgenommen, eine längere Fortsetzung zu schreiben, wenn die Leute mehr Anregungen in dieser Richtung haben. Wenn es also Zuhörer gibt, die ein solches Buch schreiben wollen, würde ich es gerne lesen.
Im Laufe der Jahre haben wir einige Interviews mit Anne Peterman von einer Gruppe namens „No GE Trees“ geführt, die über den Kampf in Wallmapu sprach und – weil sie in ähnlicher Weise versucht haben, Solidarität mit dem Widerstand gegen diese Art von Monokulturen aufzubauen, die den Boden schädigen, die den Boden schädigt, den Grundwasserspiegel aushöhlt und der Landschaft die Vitalität und Vielfalt nimmt, die für die Existenz einheimischer Arten im gesamten Süden der USA erforderlich ist. Die Menschen protestierten also in der Gegend von Asheville in Solidarität mit dem Widerstand gegen gentechnisch veränderte Baumplantagen im Südosten, aber auch in Chile.
Und viele dieser Bäume sind für viele Dinge nicht gut, sie eignen sich nicht für die Herstellung von Bauholz, besonders Eukalyptus. Als ich an der Westküste aufwuchs, taugten sie nicht als Windschutz, sie wurden als Windschutz gepflanzt, sie taugen nicht für Eisenbahnschwellen, dafür wurden sie einmal gepflanzt, aber sie werden nach ein paar Jahren Wachstum gehackt, so dass noch nicht einmal ein ausgewachsener Wald entsteht, und zu Holzpellets verarbeitet und dann nach Europa geschickt, damit die europäischen Regierungen behaupten können, sie würden eine erneuerbare Energiequelle nutzen. Das ist nur ein Spiel mit dem Kohlenstoff, mit der Verschmutzung und der Degradation. Es ist eine Fortsetzung des Extraktivismus des Neokolonialismus.
PG: Auf jeden Fall.
TFSR: Wir haben bereits einen messbaren Zusammenhang zwischen dem Klimawandel, der Störung der Nahrungsmittelproduktion, der Verschärfung von Konflikten und dem Einsatz als Waffe gegen indigene Gemeinschaften gesehen, wie du festgestellt hast, und der zu verstärkten Flüchtlingsbewegungen und Vertreibungen führt. Infolgedessen haben rechte Tendenzen eine Eskalation von Konflikten und Ungleichheit, den Bau und die Verstärkung von physischen und metaphorischen Mauern und die Beschleunigung der Förderung fossiler Brennstoffe begrüßt, um jeden Tropfen Profit, der entnommen werden kann, auszusaugen, bevor es zu spät ist. Und um fair zu sein, sage ich „rechts“, das gilt auch für zentristische neoliberale Regime, aber die Rhetorik sieht oft aktiver nach Völkermord aus und erleichtert die außerparlamentarische Gewalt, wenn sie von der extremen Rechten kommt.
Würdest du ein wenig über die Bedeutung des in gewisser Weise zunehmend schwierigen Projekts sprechen, Internationalismus und innere Gemeinschaftlichkeit gegen diese nationalistische Tendenz zu fördern, während sich das Klima aufheizt?
PG: Ja, natürlich hat die extreme Rechte, und noch mehr die neoliberale Mitte, eine Menge Vorteile, weil sie Zugang zu Ressourcen hat und viel mehr Aufmerksamkeit bekommt. Sie werden ernst genommen. Selbst viele Medien der Mitte, die der extremen Rechten missbilligend ihre Aufmerksamkeit schenken, helfen ihnen mehr, als wenn sie wirklich radikale, transformative und revolutionäre Bewegungen einfach ignorieren. Denn wir werden in dieser ständigen Position gehalten, entweder nicht zu existieren oder infantilisiert zu werden, und wir haben, wie du gesagt hast, eine Menge Arbeit an dieser Front zu tun.
Und wir können auch über Formen des Internationalismus sprechen, die sehr schädlich sind. Das ist eine Art von Internationalismus, der völlig unter der Fuchtel von kolonialen oder neokolonialen Institutionen steht. Es handelt sich um diese weltweite Rekrutierung, die größtenteils über die Universitäten erfolgt – manchmal wird sie in begrenztem Maße als ‘Brain Drain’ analysiert, aber ich denke, sie geht darüber hinaus. Im Grunde werden Menschen aus der ganzen Welt ausgebildet und rekrutiert, um an diesem System teilzunehmen – sei es unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen oder unter der Schirmherrschaft einer angesehenen Universität im Globalen Norden -, um einen Internationalismus zu schaffen, der eine völlig monistische, technokratische, vereinfachte Weltsicht ist, die einen Konsens darüber herstellt, wie die Welt aussieht, wie die Probleme aussehen und wie die Lösungen sind, und zwar innerhalb von Elite-Institutionen, die von allen verschiedenen Gebieten der Welt völlig abgeschnitten sind, selbst wenn diese Institutionen ihre Rekrutierung auf globaler Ebene erhöhen. Sie haben also Vertreter oder Sprecher aus allen Kontinenten und aus der ganzen Welt, aber sie sind in einer Art erkenntnistheoretischem, technokratischem Raum versammelt, der eine vollständige Reproduktion des Kolonialismus ist und ihn flexibel macht, aber die Vorherrschaft der westlichen Zivilisation, der weißen, suprematistischen Zivilisation fördert.
Das ist also die Art von Internationalismus, die sehr, sehr präsent ist, und er hat Zugang zu einer Vielzahl von Ressourcen. Auf der anderen Seite tun wir im Globalen Norden nicht annähernd genug, um eine sehr, sehr andere und subversive Art von Internationalismus zu schaffen. Und die Genossinnen und Genossen, die das am besten können, sind tendenziell migrantische Genossinnen und Genossen, Genossinnen und Genossen, die migriert sind, die Grenzen überschritten haben. Ich denke, dass viele Leute, die mit dem Privileg der Staatsbürgerschaft im Globalen Norden aufgewachsen sind, wenn sie reisen, wenn sie versuchen, eine globalere Perspektive zu bekommen, dies oft immer noch auf diese individualistische Art und Weise tun, die viel mehr mit Touristenurlauben zu tun hat als mit den Bedürfnissen des revolutionären Kampfes. Und so haben wir keine – ich meine, wir haben nicht wirklich Gemeinschaften im Globalen Norden, weil der Triumph des Kapitalismus so vollständig ist – und wir haben keine radikalen Gruppen, die versuchen, Gemeinschaften zu sein, die Ressourcen zusammenlegen, um bewusst globale Beziehungen der Solidarität mit Gemeinschaften und mit Kämpfen im Globalen Süden zu schaffen, die sie tatsächlich unterstützen könnten, und mit denen sie tatsächlich einen Dialog aufbauen könnten, um die umfassenden, detaillierten, globalen Perspektiven zu entwickeln, die wir tatsächlich brauchen, ebenso wie die Möglichkeit für globale Solidarität.
Ja, gegen Ende des Buches stelle ich mir vor, was wäre, wenn wir tatsächlich in der Lage wären, das zu tun, wovon ich spreche. Oder was ich in dem Buch zu argumentieren versuche, ist wie ein echtes Modell für eine revolutionäre, transformative Antwort auf die ökologische Krise aussehen könnte. Da ich also von der Notwendigkeit spreche, uns in unserem Territorium zu verwurzeln, stelle ich mir vor: „Okay, hier sind wir in Katalonien, wie sieht das in den nächsten Jahrzehnten aus?“ Und eines der ersten Dinge ist, dass wir in Barcelona und Tarragona diese großen Häfen mit diesen großen alten Schiffen haben, die derzeit Waren in die ganze Welt transportieren. Und das ist etwas, das einerseits aufhören muss, weil es zu sehr auf fossilen Brennstoffen und unnötigen Verbrauch und all dem anderen basiert. Und die spätere Zeitlinie in diesem Kapitel des Buches ist vielleicht viel schöner und romantischer, wenn man sich vorstellt, dass es keine Grenzen mehr gibt und die Menschen die Welt in Segelbooten durchqueren können, die von den Reichen, die es natürlich nicht mehr gibt, enteignet worden sind. Und ich denke, das ist eine schöne Vorstellung.
Es ist wirklich schön, sich eine Welt vorzustellen, in der wir tatsächlich leben dürfen, und in der die Menschen überall auf der Welt reisen und hingehen können, wo sie wollen. Aber im Moment müssen wir mit dem Hässlichen fertig werden. In diesen Häfen gibt es also Treibstoffreserven, die bereits aus der Erde gebaggert wurden, und es gibt diese großen Hochseefrachtschiffe. Es gibt also einen Teil, in dem es darum geht, diese Frachtschiffe zu enteignen, mit revolutionären Genossen im Globalen Süden, zu denen wir bereits Beziehungen haben, in Kontakt zu treten und herauszufinden, was sie brauchen.
In Katalonien und anderen Gebieten ergriffen ArbeiterInnen schon früh während der Pandemie die Initiative, ihre Fabriken für die Herstellung von Teilen für Atemschutzgeräte umzuwidmen, und zwar auf eine Weise, die schneller und flexibler war, als es den Kapitalisten möglich war. In Anlehnung daran stelle ich mir diesen Prozess so vor: Okay, anstatt Waren zu schicken, was nur ein Abhängigkeitsverhältnis fördert – ich habe mit einem Genossen aus Venezuela gesprochen, mit anderen Genossen aus Brasilien, ein wichtiger Punkt ist, dass ihre Wirtschaft und ihr materielles Umfeld absichtlich so strukturiert wurden, dass sie viele grundlegende Dinge, die sie brauchen, nicht haben, die in Europa oder Nordamerika leichter zu finden wären. So zum Beispiel grundlegende Maschinenteile für die Maschinen, die zur Verarbeitung von Lebensmitteln benötigt werden. Dabei geht es nicht einmal um hyperindustrielle und unnötige Unternehmungen, sondern um grundlegende Dinge wie das Ernten, Dreschen und Mahlen von Getreide zum Beispiel. Anstelle eines Abhängigkeitsverhältnisses, bei dem dieses wirklich fruchtbare Gebiet wie Venezuela Getreideimporte aus Europa erhält, die die indigene und afro-indigene Bevölkerung traditionell nicht konsumiert und die sicherlich weniger gesund sind – also im Grunde Supermarktnahrung. Anstatt Lebensmittel aus dem Supermarkt zu importieren, können wir kurzfristig diese Frachtschiffe exportieren, Fabriken aus der Automobilindustrie umfunktionieren, um einige dieser einfachen Maschinenteile herzustellen, und dann die vorhandenen Treibstoffreserven nutzen, um diese enteigneten Frachtschiffe loszuschicken, so dass diese anderen kolonisierten, neokolonisierten Gebiete, mit denen wir eine Beziehung und Solidarität haben, ihre eigene materielle Autonomie schaffen und diese Abhängigkeit ein für alle Mal durchbrechen können. Und dann denken wir auch nicht nur mit Nabelschau darüber nach, wie wir die Klima-Apokalypse überleben werden, und sorgen dafür, dass unsere Bunker gut gefüllt sind. Sondern wir denken tatsächlich über das kollektive Überleben nach, und zwar auf eine Art und Weise, die solidarisch, realistisch und global ist, und auf eine Art und Weise, die angesichts der Vergangenheit und Gegenwart des Kolonialismus und der weißen Vorherrschaft unsere Verantwortung anerkennt.
TFSR: Ja, und ich würde sagen, dass die eine Gruppe, mit der ich vertraut bin, die wirklich gute Arbeit beim Aufbau oder der Fortsetzung der Solidarität über die Grenzen hinweg geleistet hat, die zapatistischen Strukturen sind. In den USA gibt es trotz der Tatsache, dass die zapatistische Revolution vor 30 Jahren stattgefunden hat, immer noch sechs aktive Otra Compaña-Gruppen oder was auch immer, die in allen möglichen Teilen des englisch dominierten Nordamerikas, auf Turtle Island, unterwegs sind. Es ist einfach erstaunlich, und ich wünschte – aber die Leute haben es in dieser Zeit wirklich gut gemacht. Und ich glaube, das ist etwas, was verloren gegangen ist: diese klaren Kommunikationslinien und der Aufbau von Inspirationen, der Austausch von Wissen und Erfahrungen über die Grenze zum Süden des Nationalstaates, in dessen Grenzen ich lebe. Es gibt so viele Überschneidungen und Arbeitskämpfe, die stattfinden. Es gibt so viel grenzüberschreitenden Warentransit, und ich habe so viel mehr mit den Menschen jenseits der Grenze gemeinsam als mit denen, die diese verdammten Unternehmen hier leiten.
PG: Jep.
TFSR: Ein weiterer Punkt, der mir in dem Buch sehr gut gefallen hat – und du sprichst das auf verschiedene Weise an, oder ich habe das an verschiedenen Stellen gelesen – ist die Bedeutung der ‘Territorialisierung’. Vielleicht ist das der falsche Begriff, aber es geht darum, in dem Land, in dem man lebt, verwurzelt zu sein, ihm zuzuhören, zu verstehen, was es lehrt und wie man damit leben kann. Erkennen, wie andere Menschen das gemacht haben, und wie man seinen Kampf in einem Gefühl des Ortes verwurzelt. Und das ist einer der Gründe, warum einige dieser antikolonialen und antikapitalistischen Widerstandsbewegungen an verschiedenen Orten der Welt so unterschiedlich aussehen, weil sie in verschiedenen Vermächtnissen und Praktiken, Religionen, Sprachen und Erfahrungen der Kolonialisierung verwurzelt sind. Und ich schätze es sehr, dass du darauf hinweist und sagst: „Erwarten Sie nicht, dass alle Menschen auf der ganzen Welt ihre Interessen verfolgen oder den Begriff ‘Autonomie’ für das, was sie tun, unbedingt verwenden. Aber erkennen Sie einfach ähnliche Züge unter den Menschen, mit denen Sie sich im Kampf gegen den globalen Kapitalismus und die Kolonisierung solidarisieren können“. Kannst du ein wenig über einige dieser ähnlichen Eigenschaften sprechen, wie du diese vielseitigen Strategien identifizierst?
PG: Ja. Also ja, ich glaube, ich verwende das Wort „Territorialisierung“ oder „territorialisiert“, und das kommt hauptsächlich aus dem Katalanischen und Spanischen. Im Englischen ist „territorial“ eher ein hässliches Wort, weil es mit Besitzdenken und Grenzziehung assoziiert wird. Ich finde, es ist ein sehr nützliches Konzept, das hier verwendet wird, also habe ich angefangen, es auf Englisch zu verwenden. Ich möchte die Menschen dazu ermutigen, sich die Wurzeln des Wortes „terra“ oder „tierra“ anzusehen, also die Erde. Eine Beziehung zur Erde ist nicht wie dieser große, abstrakte blaue Planet, der im Nichts schwebt, sondern die Erde unter unseren Füßen.
Es ist also interessant, weil du nach Ähnlichkeiten fragst – oh Gott, das wird wie ein klischeehafter Autoaufkleber oder so etwas klingen – aber meine erste Antwort ist, dass die Ähnlichkeit im Unterschied liegt. Denn in einem Akt des Krieges gegen diese Welt der Supermärkte und Amazon und Smartphone-Bildschirme, die diese insgeheim weiße, supremacistische Homogenität aufzwingen, wird man Teil einer langen historischen Tradition, die so sehr spezifisch für den Ort ist, an dem man lebt, und nirgendwo anders. Das bedeutet also, dass man andere Lebensmittel isst, sie anders zubereitet, andere Bäume beschneidet, einen anderen Dialekt einer anderen Sprache spricht. Es bedeutet Dinge, die auf den ersten Blick vielleicht eher durch ihre Unterschiedlichkeit definiert oder gekennzeichnet sind, aber wenn man z.B. Versammlungen von Bauern aus verschiedenen Ländern der Welt sieht, oder Versammlungen von Gärtnern, Versammlungen von Revolutionären, die sehr daran glauben, in diesem Sinne territorial zu sein, worüber ich zu sprechen versuche, die daran glauben, ihre Wurzeln im Boden unter ihren Füßen zu haben, und die aus dieser Beziehung heraus kämpfen und sich innerhalb dieser Beziehung verstehen…
Mir fällt auf, wie viel Freude es macht, zu sagen: „So macht ihr das? So machen wir es auch. Oh, das ist, was ihr esst? Das ist, was wir essen.“ Und selbst auf den ersten Blick scheint die Farbe, die Beschaffenheit Unterschiede hervorzuheben, aber ich denke, dass die Konversation, die dort stattfindet – und es fühlt sich für mich so an, dass ich als entfremdeter Ex-Vorstädter, der sich relativ spät in meinem Leben engagiert, in begrenztem Maße so gefühlt habe -, dass sich hinter den Worten eine Art Sprache der Liebe verbirgt, die vollständig eine Übung in Gleichheit ist. Nicht die Gleichheit der Homogenität, sondern die Gleichheit von „Wir sind Lebewesen auf dieser Erde und wir lieben die Erde, sie gibt uns unser Leben, wir lieben die anderen Lebewesen um uns herum.“ Und so tun Menschen auf der ganzen Welt, die in Autonomie leben und es unterschiedlich nennen und sehr, sehr unterschiedliche Technologien verwenden und sehr unterschiedliche Nahrungsmittel essen und all den Rest, auf einer tieferen Ebene das Gleiche, und ich denke, wir können uns oft in den anderen wiedererkennen.
TFSR: Ich denke, um auf einen Hinweis zurückzukommen, den du vorhin gegeben hast, war ich sehr bewegt von diesem Kapitel Eine ganz andere Zukunft, in dem du – das ist nicht der Hauptteil, aber zumindest der erste Teil davon – eine alternative Sichtweise beschreibst, wo wir sein könnten, wenn wir diesen Weg einschlagen, und eine Art Best-Case-Szenario, wie eine Neuordnung und Heilung der Welt aussehen könnte. Ich habe das Gefühl, dass viel, viel zu tun ist, um den Kurs zu ändern, auf dem wir als Spezies sind – oder dass wir, die wir unter der Zivilisation leben, gezwungen sind, in einer anderen Zivilisation zu leben… Eine der wichtigsten Herausforderungen, vor denen wir stehen, ist die der Vorstellungskraft. Die Vorstellungskraft nährt die Seele, sie ist eine spielerische Kreativität, sie ist ein notwendiger Teil dessen, was es meiner Meinung nach bedeutet, lebendig zu sein. Können wir darüber sprechen und auf Projekte, Bewegungen oder Menschen hinweisen, von denen du glaubst, dass die Zuhörer eine radikale Vorstellungskraft haben und mutig genug sind, diese mit anderen Menschen zu teilen?
PG: Hm. Ja, ich würde zunächst einmal betonen, wie wichtig meiner Meinung nach die Vorstellungskraft ist, wie du sagst. Ich glaube, sie ist, ich weiß nicht, vielleicht ist sie wichtiger als Hoffnung. Manchmal ist es einfach nicht möglich, Hoffnung zu haben. Aber selbst in solchen Momenten ist es schön, aus dem Fenster oder auf die Straße schauen zu können und eine völlig andere Welt zu sehen, die den Raum ausfüllt, selbst wenn man nicht glaubt, dass man sie jemals erleben wird. Das halte ich für extrem wichtig. Und ich glaube nicht, dass wir das können, ich meine, natürlich wird uns die Welt, die wir erschaffen, überraschen. Sie wird geboren werden und mit uns in Dialog treten, und sie wird auch auf bestimmten Dingen bestehen und sich auf bestimmte Weise aufdrängen. Aber gleichzeitig glaube ich nicht, dass wir eine Gesellschaft schaffen können, die wir uns nicht vorstellen können. Auch wenn der Vorbehalt, den ich versucht habe, zu vermitteln, darin besteht, dass sie immer noch anders sein wird, als wir sie uns vorstellen, so ist doch die Vorstellung davon ein enorm wichtiger Teil ihrer Entstehung.
Und ich denke, es ist äußerst, äußerst wichtig, eine sehr, sehr klare analytische und strategische Unterscheidung zwischen Vorstellungen und Entwürfen zu treffen. Das Erstellen von Entwürfen ist nur eine Fortsetzung des Krieges gegen den Planeten. Es ist ein extrem kolonialer Akt, der Welt eine Blaupause aufzuerlegen. Und tatsächlich ist diese Zurückhaltung gegenüber der Vorstellungskraft wahrscheinlich der größte Kritikpunkt, den ich jemals am aufständischen Anarchismus hatte. Diese allgemeine Weigerung, sich etwas vorzustellen. Die nicht einmal wirklich gut von den theoretischen Grundlagen des aufständischen Anarchismus gestützt wird. Ich denke, es manifestiert sich eher als eine Angst, als ein Beharren auf der Gegenwart, was einige wichtige strategische Elemente in sich birgt. Wir werden uns auf die Gegenwart konzentrieren. Aber ich glaube, es gibt auch die Angst, darüber hinauszugehen.
Wer leistet gute Arbeit beim Teilen dieser Vorstellungen, dieser Imaginationen? Es gibt also eine Gruppe, die ich in den USA für das Buch interviewt habe. Ich halte ihren Standort anonym, aber im Grunde genommen erhalten sie Gelder und leiten ihre um, oder sie nutzen eine Finanzierung, die für andere Zwecke bestimmt ist. Im Grunde genommen geht es ursprünglich darum, industriellen Großbauern beim Kauf von Bäumen für Windschutzanlagen und Ähnlichem zu helfen. Und da ist eine radikale antikapitalistische Gruppe, die riesige Mengen von Bäumen kauft, etwa Zehntausende von Bäumen, um Nachbarschaften auf dem Weg zur Ernährungsautonomie zu unterstützen. Und ich habe nicht gesehen, dass sie irgendetwas tun, das explizit propagandistische Werke der Vorstellungskraft sind. Wir können uns vorstellen, dass die Gegend, in der wir leben, ein üppiger Obstgarten ist, in dem wir unsere eigenen gesunden Lebensmittel anbauen können und nicht auf Lohnarbeit angewiesen sind, um qualitativ minderwertige Lebensmittel zu bekommen“. Aber ich denke, auf der materiellen Ebene steckt viel Phantasie in dem, was sie tun.
Und ich denke, dass vieles davon auf die bäuerliche und indigene Vorstellungskraft in Lateinamerika zurückgeht, denn viele der Viertel, in denen das, was sie tun, am effektivsten ist, sind Viertel mit einer großen Anzahl mittelamerikanischer Migranten, die viel Erfahrung mit dem Anbau ihrer eigenen Lebensmittel und mit der Kombination von Wohn- und Landwirtschaftsräumen haben, wie es im Allgemeinen im Globalen Norden nicht der Fall ist. Wenn schon nicht auf der Ebene der schriftlichen Propaganda, so doch zumindest auf der materiellen Ebene gibt es in diesem Projekt eine blühende Vorstellung von Stadtvierteln, armen Stadtvierteln, Arbeitervierteln, die ihre Lebensqualität durch den Anbau gesunder Lebensmittel verbessern. Und das ist nur eine kleine Gruppe, die das macht. Wenn das in den ganzen USA gemacht würde, dann würde man eine atmosphärisch bedeutsame Menge an Kohlenstoffreduktion schaffen, an Kohlenstoff, der durch Aufforstung aus der Luft geholt wird. Die Aufforstung erfolgt auf eine komplexe, gesunde Art und Weise und nicht in Form von Monokulturen, die gentechnisch manipuliert werden, und sie verschafft den Arbeitervierteln Zugang zu gesunden Lebensmitteln.
Außerdem sind die meisten der geplanten Bäume autochthon, wie sagt man das auf Englisch? Es handelt sich um einheimische Arten, von denen die meisten von der industriellen Landwirtschaft vernachlässigt wurden, weil die industrielle Landwirtschaft viele Anforderungen stellt, die mit den Bedürfnissen der menschlichen und ökologischen Gesundheit nichts zu tun haben. Zum Beispiel die Transportfähigkeit: Äpfel sind großartig, weil sie hart sein können, früh geerntet werden können und dann in die ganze Welt verschifft werden können. Papayas zum Beispiel sind ein sehr, sehr wichtiges einheimisches Baumnahrungsmittel aus Nordamerika. Sie sind irgendwie zu matschig, sie lassen sich nicht so gut transportieren und eignen sich daher nicht so gut als Supermarktnahrung. Es handelt sich also um ein sehr gesundes Nahrungsmittel, das ein Teil der indigenen Kulturen, der indigenen Geschichte und der indigenen Technologie ist, das aber durch die Art und Weise, wie es hergestellt wird, aus der Gleichung entfernt wird. Es ist also wirklich großartig, eine Gruppe zu sehen, die viele dieser einheimischen Arten zurückbringt und die Artenvielfalt und die menschliche Gesundheit in Arbeitervierteln verbessert.
Abgesehen von den materiellen Projekten gibt es etwas sehr, sehr Wichtiges, das Anarchisten schon seit langem machen und das eine sehr, sehr aufregende Wiedergeburt erlebt, nämlich anarchistische spekulative Fiktion. Ob Science Fiction oder Fantasy, es wird immer mehr Aufmerksamkeit auf einige der Großen der jüngeren Vergangenheit gerichtet, wie Octavia Butler, die eine Radikale ist, keine Anarchistin, aber jemand, von dem ich viel gelernt habe, jemand, bei dem es keine Rolle spielt, dass sie keine Anarchistin ist, sie ist eine wirklich großartige Schriftstellerin und eine wirklich großartige Denkerin. Also ja, Octavia Butler, Ursula K. Le Guin, hier [in Spanien und Katalonien] zum Beispiel werden sogar einige der Anarchisten, die sich mit spekulativer Fiktion aus der Arbeiterbewegung des späten 19. Und dann gibt es auch eine Menge aktueller Autoren, die anarchistische spekulative Belletristik veröffentlichen, und das ist etwas, das wir wirklich unterstützen müssen und das wir versuchen müssen, über die Bewegung hinaus zu verbreiten. Bringt sie in unsere Bibliotheken, bringt sie in unsere örtlichen Buchhandlungen, denn das ist im Allgemeinen effektiver bei der Verbreitung anarchistischer Ideen und anarchistischer Vorstellungen als, ihr wisst schon, viele unserer Sachbücher.
TFSR: Ja, und außerdem macht es Spaß.
PG: Oh, ja.
TFSR: [kichert] Ich habe in den sozialen Medien und in einigen kürzlich erschienenen Büchern wie ‘Climate Leviathan’ – das ich ehrlich gesagt noch nicht zu Ende gelesen habe, ich hatte einfach noch keine Zeit – Warnungen vor Ideen des Öko-Leninismus oder Öko-Maoismus gesehen, einer angeblich linken, autoritären staatlichen Antwort auf die Destabilisierung des Klimas, dann habe ich das Gefühl, dass es nicht mehr nur um Derek Jensen geht. Kannst du ein wenig über diese Tendenz sprechen und darüber, ob du darin eine tatsächliche Bedrohung siehst, die sich tatsächlich durchsetzt, wie eine tatsächliche Bedrohung der Freiheit?
PG: Ja. Wahrscheinlich hat Andreas Malm mit dieser Gruppe neue Wege beschritten, die weit über das hinausgehen, was zum Beispiel Derek Jensen getan hat. Das ist also etwas, das in antikapitalistischen akademischen Kreisen viel Aufmerksamkeit erregt. Ich habe noch nirgendwo gesehen, dass es sich in der Praxis durchgesetzt hat, also direkt in realen Kämpfen oder in sozialen Bewegungen. Aus dieser Perspektive würde es also wie eine sehr abgehobene Elite erscheinen, die wilde Argumente vorbringt, die ziemlich lächerlich und irrelevant sind. Aber ich denke, wir haben schon früher Dynamiken gesehen, wo die offiziellen zentristischen Praktiken und Ideologien ins Trudeln geraten und nicht in der Lage sind, Lösungen hervorzubringen, die das System braucht, um sich zu korrigieren und zu überleben – und das ist definitiv die Periode der Geschichte, in die wir gerade eintreten -, wo autoritäre Elemente in sozialen Bewegungen, die sehr, sehr klein und nicht sehr relevant zu sein scheinen, ganz plötzlich sehr groß werden, sehr schnell.
Das geschah in großem Ausmaß im Spanischen Bürgerkrieg, wo die autoritären Kommunisten völlig irrelevant und winzig waren und die Anarchisten so viel Einfluss in der revolutionären Bewegung hatten. Und dann, in weniger als einem Jahr, aufgrund der Finanzierung von außen und aufgrund der Machtstrukturen der Eliten, die Bündnisse der Bequemlichkeit eingingen, kam es plötzlich zu einer autoritären Revolution – mit angeblich revolutionärer Methodik, denn die Stalinisten sagten ausdrücklich, dass sie nicht versuchten, die Revolution in Spanien zu bekämpfen -, in der diese autoritären Strömungen wirklich, wirklich, wirklich schnell an Boden gewannen. Wir müssen also aus der Geschichte lernen, wir müssen uns auf diese Möglichkeit oder Unvermeidlichkeit vorbereiten, und wir müssen jetzt die Argumente dafür vorbringen, dass diese autoritären Betrachtungsweisen des Problems völlig losgelöst von den Bedürfnissen der Menschen und den Bedürfnissen der tatsächlichen Ökosysteme sind, und dass sie angesichts der Natur des Problems völlig unrealistisch sind.
Das bedeutet auch, dass wir lauter über unsere Methoden, unsere Lösungen und unsere Erfolge oder Teilerfolge sprechen müssen, die wir erzielt haben. Im Fall von Andreas Malm hat er es mit einigen ziemlich offensichtlich rassistischen, indigenenfeindlichen Äußerungen ein wenig leichter gemacht. Ich meine, er ist sehr… er hat Schwierigkeiten, über die Bedürfnisse der Reproduktion der weißen, suprematistischen Gesellschaft des Globalen Nordens hinaus zu sehen. Aber ich denke, dass spätere Versionen dieser Art von autoritärem, öko-leninistischen Denken raffinierter sein werden und ihre koloniale und weiß-suprematistische Dynamik besser verbergen können. Ich denke also, wir müssen uns dieser Gefahr bewusst sein, solange sie noch klein ist.
TFSR: Kommt es dir nicht seltsam vor, dass AK Press erst letztes Jahr ein Buch von ihm veröffentlicht hat? ‘How to Blow up a Pipeline’.
PG: Ähm, ich meine, ja. Es gibt anarchistische Verlage, die den Ansatz verfolgen, nur Bücher zu veröffentlichen, zu denen sie sich hingezogen fühlen, und ich denke, dass einige wirklich wichtige Literatur, die nicht kommerziell verwertbar ist, auf diese Weise in Umlauf gebracht wurde, und das ist wirklich wichtig. Und dann gibt es andere radikale Verlage, wie AK, die den Ansatz einer sehr breiten Plattform verfolgen. Und es gibt einige Dinge, die AK veröffentlicht, von denen ich nicht erfahren hätte oder zu denen ich keinen Zugang bekommen hätte, die eine breitere Anziehungskraft oder eine weniger radikale Anziehungskraft haben, und die auch genau die Dinge sind, über die AnarchistInnen, besonders in Nordamerika, nachdenken müssen, die Dinge ansprechen, die wir historisch gesehen ignorieren und eine schreckliche Arbeit machen. Und dann gibt es Dinge, die AK oder ähnliche Verlage veröffentlicht haben, die ich nicht mit einer 10-Fuß-Stange anfassen würde, oder die ich vielleicht zum Verbrennen anfassen würde?
TFSR: [lacht] Ja, und ich will damit nicht speziell AK Press in Schutz nehmen, aber dieses Buch, und dann Nick Estes…
PG: Das Gleiche gilt für PM, für all diese größeren Plattformverlage. Ich denke, dass ich als Person eher – ich weiß nicht, aufgrund meiner Persönlichkeit oder was auch immer – eher zu einem kleinen, auf Affinität ausgerichteten Modell tendieren würde. Aber ich bin auch in der Lage zu erkennen, dass die Art und Weise, wie ein größerer Verlag vorgeht, Vorteile hat und uns mit Texten und Ideen in Kontakt bringt, mit denen wir wirklich im Dialog stehen müssen, und dass wir, wenn wir uns nur auf die Affinität konzentrieren, nie aus unserer kleinen Echokammer herauskommen werden.
Ja, und dann sagen einige der Marxisten, die ich respektiere und die dem Anarchismus näher stehen, dass Andreas Malms früheres, großes, bahnbrechendes Buch wichtig und nützlich war. Zum Beispiel über den Klimakapitalismus, über die Betrachtung der Überschneidungen zwischen dem Klimawandel und der früheren Entwicklung des Kapitalismus. Also, weisst du, offensichtlich hat er Dinge veröffentlicht, die theoretisch nützlich sind, aber ich denke, er ist eine Art Clown, wenn es um direkte Aktionen geht. Er kommt von diesem hochprivilegierten, skandinavischen sozialdemokratischen Standpunkt aus, von dem aus er über seinen Flirt mit der direkten Aktion vor ein paar Jahren sprechen kann, ohne Gefahr zu laufen, ins Gefängnis zu kommen, was für den Rest von uns ein anderer Planet ist [lacht]. Und dann wirkt er mit ‘How to Blow Up a Pipeline’ einfach so fade und töricht. Wie dieser hochprivilegierte Akademiker, der so hartnäckig davon spricht, dass „wir dieses Ding zu Fall bringen werden“, obwohl er wirklich keine Ahnung hat, wovon er spricht, und er neigt dazu, auf sehr unverantwortliche und unrealistische Weise darüber zu sprechen.
TFSR: Erhältlich in einer Buchhandlung in Ihrer Nähe…
PG: [lacht]
TFSR: [lacht] Eine meiner Lieblingsantworten auf die Frage „Wie können die Zuhörer von dort aus, wo sie sich befinden, Solidarität leisten?“, die ich in der Vergangenheit Gästen gestellt habe, eine der besten Antworten, die ich immer wieder von Leuten bekommen habe, die gegen Megaprojekte arbeiten oder Pipelines blockieren – Megaprojekte schätze ich – antikoloniale Kämpfe, ist, diese Arbeit dort zu machen, wo wir sind, gegen die unterdrückende Dynamik hier, um den kapitalistischen Kern zu destabilisieren, so dass Autonomie hier wie auch an den Peripherien gedeihen kann. Und ich habe das Gefühl, dass das in der Schlussfolgerung Ihres Buches wirklich zum Ausdruck kommt. Was würdest du den Leuten als nächsten Schritt nach der Lektüre des Buches raten? (lacht) Suggestivfrage?
PG: Ich meine, in Verbindung mit der Entwicklung einer globalen Perspektive, die real ist und auf tatsächlichen Solidaritätsbeziehungen mit den Menschen und Kämpfen in anderen Teilen der Welt beruht, würde ich sagen, dass Schritte, zumindest kleine Schritte in Richtung Lebensmittelautonomie, etwas sind, das überall getan werden kann, überall getan werden muss. Und es ist auch eine interessante Übung oder ein interessanter Ansatz, denn es kann uns neue Perspektiven auf die Strukturen geben, die unserem Überleben im Weg stehen. Was sind die Strukturen, die wirklich als Feinde identifiziert werden müssen? Und das Teilen von Nahrung ist eine wirklich kraftvolle Aktivität auf allen Ebenen. Wenn wir also über oberflächliche Praktiken der Affinität hinausgehen und uns auf Praktiken der Solidarität mit Menschen zubewegen, die nicht so denken wie wir, dann ist Essen ein extrem wichtiger Schritt, um tatsächlich eine Gemeinschaft zu schaffen, die diesen Namen verdient. Die Möglichkeit, Lebensmittel zu teilen, die Abhängigkeit vom Kapitalismus zu verringern, dieser Aspekt. Wenn ich eine kürzere Antwort geben müsste, würde ich diesen Aspekt besonders hervorheben.
TFSR: Also legen Sie einen Garten an. Sie haben es hier zuerst gehört.
(beide lachen zusammen)
PG: Wohnen! Wohnen ist wirklich wichtig.
TFSR: Auf jeden Fall.
PG: Die Übernahme von Wohnungen, auf jeden Fall, ja. Um richtig zu antworten, müsste man über so viele verschiedene Dinge sprechen.
TFSR: Ich schätze, man muss sich einmischen, wo man kann, und etwas Fantasie haben. Mir hat es sehr gut gefallen, dass du die Leser ein paar Mal im Buch aufgefordert hast, „nein, wirklich, hören Sie auf zu lesen. Bitte nehmen Sie sich einen Moment Zeit, schließen Sie die Augen oder schauen Sie aus dem Fenster und denken Sie einfach nach“. Ja, das ist gut.
Peter, arbeitest du im Moment an irgendetwas anderem oder kümmerst du dich nur um die Geschäfte zwischen den Büchern?
PG: Uhhhh, im Moment versuche ich einfach, am Leben zu bleiben und ja. Ich glaube, dass wir in unseren Bewegungen generell sehr schlecht darin sind, auf uns selbst und auf die anderen aufzupassen. Und deshalb versuche ich, das mehr zu berücksichtigen. Ja, ich versuche, meinen Arsch hochzukriegen, um meinen Garten zu bepflanzen, sobald der Frühling kommt. Und ja, wir arbeiten immer noch an den Infrastrukturtreffen, den anarchistischen Infrastrukturtreffen hier in Katalonien. Wann immer ich die Motivation finde, mit der Arbeit am nächsten Buch zu beginnen, wird das nächste Buch wahrscheinlich eine Kritik der Demokratie sein, sowohl der repräsentativen als auch der direkten. Und dann würde ich auch gerne dieses Forschungsprojekt über die Erfindung des Weißseins in der spanischen Kolonialerfahrung angehen, da die englische Erfahrung der Erfindung des Weißseins durch den Kolonialismus am meisten untersucht worden ist.
TFSR: Cool. Vielen Dank für dieses schöne Buch. Ich habe die Lektüre wirklich genossen und danke, dass du dir die Zeit für ein Gespräch genommen hast.
PG: Ich danke dir. Danke, dass du dir die Zeit für das Gespräch genommen hast, und danke für, danke fürs Lesen, danke für das Gespräch und, ja. Danke, dass du in Kontakt geblieben bist.
TFSR: Natürlich.