via posteo.de/news:
Die Bundesregierung plant eine Reform des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung (SZ) steht der Inlandsgeheimdienst vor “den größten Veränderungen seiner Geschichte”. Unter anderem könnte die Kontrolle des Verfassungsschutzes ausgeweitet werden. Eine Befugnis zur sogenannten Online-Durchsuchung soll er nicht erhalten.
Nach Recherchen der SZ hat eine Arbeitsgruppe der Innenministerien von Bund und Ländern bereits erste Reformvorschläge ausgearbeitet – 14 interne Berichte lägen bisher vor.
So sei unter anderem vorgesehen, dass der “Unabhängige Kontrollrat” künftig auch für den Verfassungsschutz zuständig sein soll. Der Kontrollrat wurde geschaffen, um sicherzustellen, dass sich der Bundesnachrichtendienst (BND) bei seiner Arbeit an das Grundgesetz hält. Er setzt sich aus sechs (ehemaligen) Richterinnen und Richtern des Bundesgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts zusammen.
Urteil zum bayerischen Verfassungsschutzgesetz
Hintergrund der Pläne ist zum einen ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum bayerischen Verfassungsschutzgesetz. Zum anderen war bereits im Koalitionsvertrag vereinbart worden, die Kontrolle “aller nachrichtendienstlichen Tätigkeiten des Bundes” zu stärken und auszubauen. Ebenfalls hatte die Ampel-Koalition vereinbart, die Befugnis des Verfassungsschutzes zum Einsatz von Überwachungssoftware zu überprüfen.
Das BVerfG hatte im April entschieden, dass die weitreichenden Befugnisse des bayerischen Verfassungsschutzes teilweise gegen die Grundrechte verstoßen. Betroffen waren wesentliche Teile des Gesetzes, wie etwa die Regelungen zur Wohnraumüberwachung und zur Online-Durchsuchung. Das Gesetz muss nun bis Ende Juli 2023 überarbeitet werden.
Bijan Moini von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hatte schon im April gesagt: “Dieses Urteil strahlt in die ganze Republik aus. Denn viele andere Verfassungsschutzbehörden in den Ländern und im Bund haben ähnliche Befugnisse. Sie müssen nun ihre Gesetze kritisch prüfen und überarbeiten.” Die GFF hatte die Klage gegen das Gesetz koordiniert. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte kommentiert: „Es müssen wahrscheinlich der Bund und alle Länder ihre Gesetze ändern.
Die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages hatten sich in einem Gutachten mit den Auswirkungen dieses Urteils beschäftigt. So hatte das BVerfG etwa bei der verdeckten Wohnraumüberwachung gefordert, die daraus gewonnenen Informationen müssten von einer unabhängigen Stelle auf ihre Relevanz für den Kernbereich privater Lebensgestaltung geprüft werden. Das Gutachten stellt dazu fest, diese Kontrolle sei auch im Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) nicht vorgesehen.
Genehmigung für Observationen
Wie die SZ berichtet, überlege die Arbeitsgruppe derzeit auch, ob der Unabhängige Kontrollrat künftig Maßnahmen zur Telekommunikationsüberwachung durch den Verfassungsschutz genehmigen soll. Bisher werden solche Maßnahmen nur von der sogenannten G10-Kommission kontrolliert, die aus fünf Politikern besteht.
Auch für Observierungen könnte künftig eine Genehmigung notwendig sein. Will die Polizei eine Person observieren, erteilt ein Ermittlungsrichter die Genehmigung. Der Verfassungsschutz benötigt aber bisher keine Genehmigung einer externen Stelle. Laut SZ sehen die Pläne vor, dass künftig eine “unabhängige, zumindest gerichtsähnliche Instanz” solche Überwachungsmaßnahmen genehmigen muss.
Dies könnte auch für die Anwerbung sogenannter V-Leute zur Pflicht werden. Bisher werde das Parlamentarische Kontrollgremium im Bundestag nur “in bestimmten Fällen” unterrichtet, wenn der Verfassungsschutz Personen in extremistischen Szenen als V-Leute anwirbt. Das BVerfG hatte dafür in seinem Urteil zum bayerischen Verfassungsschutz eine “unabhängige Vorabkontrolle” gefordert – die existiert laut den Wissenschaftlichen Diensten des Bundestages allerdings auch im BVerfSchG nicht. Wie die SZ berichtet, ist aber noch umstritten, ob der Unabhängige Kontrollrat die Klarnamen dieser Personen erhalten soll. “Das Instrument muss noch wirksam bleiben”, zitiert die SZ einen hochrangigen Beamten.
Fest steht laut dem Bericht, dass der Bundesverfassungsschutz keine Befugnis zur Online-Durchsuchung erhalten wird. Diese war wiederholt gefordert worden. So hatte ein Entwurf für eine Novelle des Verfassungsschutzgesetzes aus dem Jahr 2019 diese Befugnis noch vorgesehen. Letztlich wurde der Passus aber wieder gestrichen.
Bei der Online-Durchsuchung werden Geräte von Verdächtigen mit Trojaner-Software ausgespäht. Der bayerische Verfassungsschutz durfte dieses Mittel seit dem Jahr 2016 verwenden. Doch das Bundesverfassungsgericht hatte geurteilt, dies sei nicht mit dem Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme vereinbar, weil die entsprechende Regelung nicht bestimmt genug sei.
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums erklärte auf Anfrage von Posteo, dass die Bundesregierung die tragenden Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts sorgfältig auswertet, die Prüfung hierzu aber noch nicht abgeschlossen sei. (js)