In einer groß angelegten Aktion drangen vor einiger Zeit über 20 Beamt*innen von mehreren Bremer Behörden (darunter das Amt für Soziale Dienste, das Innen- und Bauressort, die Feuerwehr, die Polizei, das Jobcenter, die SWB, das Jugendamt, das Ordnungsamt, die Stadtreinigung etc.) in drei Wohnhäuser in der Liegnitzstraße in Gröpelingen ein und kontrollierten die Bewohner*innen, die Wohnungen und die bauliche Beschaffenheit der Häuser.
In den gängigen Bremer Medien und von den beteiligten Behörden wurden die Razzien – kurz vor der Wahl in Bremen – durchweg als großer Erfolg dargestellt. Sie seien ein positives Signal, dass endlich etwas gegen überbelegte Mietshäuser, schlechte Wohnbedingungen und Vermüllung im
Stadtteil getan werde. Ziel sei es gewesen, die Vermieter*innen zur Verantwortung zu ziehen, um miserable Wohnbedingungen zu beenden und die betroffenen Mieter*innen zu schützen.
Allein die Zusammensetzung der beteiligten Behörden macht jedoch deutlich, dass es bei den Razzien nicht vorwiegend um schlechte Vermieter*innen und schlechte Wohnbedingungen ging. Vielmehr standen die Bewohner*innen selbst im Fokus. So drangen die Beamt*innen morgens um 5:30 Uhr ungefragt in die Wohnungen ein. Die Straße und Häuser wurden großflächig abgesperrt. Die Bewohner*innen wurden aus dem Schlaf gerissen, gezählt und kontrolliert. Die Kinder nicht zur Schule gelassen und über Stunden durfte niemand das Haus verlassen oder betreten. Die gesamte Situation war für die Bewohner*innen extrem erniedrigend und entwürdigend. Durch das Vorgehen der Bremer Behörden wurden sie kriminalisiert und stigmatisiert.
In der Presse und von den Behörden selbst wurde zudem erklärt, die Razzien hätten das Ziel, die Müllprobleme in Gröpelingen zu bekämpfen. Dies legt nahe, dass einzelne Bewohner*innen oder Gruppen für das Müllproblem in Gröpelingen verantwortlich seien und das Problem durch ein repressives Vorgehen gegen sie gelöst werden könnte. Diese Darstellung ist fatal und verstärkt die Stigmatisierung und Ausgrenzung einzelner Gruppen im Stadtteil.
Müllprobleme in ärmeren Stadtteilen sind ein strukturelles Problem, das in fast allen Städten bundes- und weltweit auftritt und viele Ursachen hat. Es hat mit Armut und schlechten Lebensverhältnissen zu tun, mit der Privatisierung der Müllentsorgung, fehlenden Mülltonnen, mit Überproduktion von Verpackungen, mit fehlendem Wissen über Mülltrennung, mit einem fehlenden Gefühl von Zugehörigkeit und Zusammenhalt in Stadtteilen etc.
In unseren Gesprächen in Gröpelingen ist der Ärger über den Müll auf den Straßen sehr häufig Thema. Der Ärger ist verständlich angesichts der vor sich hin faulenden Müllsäcke und überlaufenden Mülltonnen in vielen Straßen. Auch wir sind genervt.
Das Thema birgt jedoch Sprengstoff: Anstatt gemeinsam für eine Lösung zu kämpfen, verdächtigt jede jeden oder gleich ganze Gruppen als Verursacher*innen. So stärkt der Ärger über den Müll die bestehende Spaltung im Stadtteil und damit auch Vorurteile und Rassismus. Eine gefährliche Mischung. Die Stadt benutzt das Müllthema ihrerseits, um mehr Kameras, mehr Überwachung, mehr Ordnungsdienste – und nun auch noch morgendliche Großrazzien – im Stadtteil ein- und durchzuführen.
Durch Kontrolle und Überwachung wird sich das Müllthema jedoch nicht lösen lassen. Solange Menschen unter schlechten Bedingungen wohnen und arbeiten, solange Nachbarschaften gespalten und individualisiert sind, solange es keine Solidarität und Miteinander in den Straßen gibt – solange wird Müll weiterhin ein Problem sein. Denn wenn Menschen sich nicht zugehörig fühlen, dort wo sie wohnen, wird es immer eine mangelnde Verantwortungsübernahme für die gemeinschaftlichen Räume, wie Bürgersteige, Spielplätze oder Straßenecken geben. So gesehen ist eine solidarische und funktionierende Nachbarschaft das beste Mittel gegen die Vernachlässigung des öffentlichen Raumes.
Vor dem Hintergrund von Städteerneuerung und Aufwertung ergibt sich noch eine weitere Perspektive auf die Razzien: Es gibt in vielen Städten Beispiele dafür, wie Stadtteile aufgewertet (gentrifiziert) werden, indem Häuser als nicht mehr bewohnbar beurteilt werden und in der Folge die Bewohner*innen dieser Häuser ausziehen müssen. Daraufhin können die Häuser saniert oder neu gebaut werden und mit hohen Mieten an wohlhabendere Menschen vermietet oder verkauft werden. Die ehemaligen Bewohner*innen müssen, um sich die Mietkosten leisten zu können, häufig in andere Stadtteile umziehen. Beispiele dafür gibt es viele, wie z.B. in Kiel oder München, aber auch in anderen europäischen Städten wie Marseille.
Auch in Gröpelingen gibt es solche Versuche der Aufwertung. So werden seit einiger Zeit zahlreiche Großbauprojekte durchgeführt und Strategien diskutiert, wie Gröpelingen als Standort besser vermarktet werden kann. Hinzu kommen ordnungspolitische Maßnahmen. Solche Aufwertungsprozesse lösen jedoch nicht die tatsächlichen Probleme der Bewohner*innen ärmerer Stadtteile, sondern führen fast immer zu steigenden Mieten und Prozessen der Verdrängung.
Für eine solche Herangehensweise der Stadt Bremen sprechen die Aussagen in den Berichten über die Razzien. Jens Körber, Leiter des beim Senator für Inneres angesiedelten Projektes „Sichere und saubere Stadt“, in dessen Rahmen die Razzien durchgeführt wurden, erklärt: „Wir wollen verhindern, dass einzelne Stadtteile und Quartiere wegkippen“. Der ehemalige Bausenator Lohse spricht davon, dass durch die Razzien „eine Abwärtsspirale für das Quartier verhindert werden“ soll. Für die Bewohner*innen der drei Häuser verhindern die Razzien die Abwärtsspirale oder das „Wegkippen“ jedoch kaum. Ihre Situation hat sich durch die Razzien eindeutig verschlechtert.
Der Bezug auf Sicherheit, Sauberkeit und das Verhindern einer Abwärtsspirale zielt an dieser Stelle vor allem auf die wirtschaftliche Verwertbarkeit des Stadtteils und die Vermeidung unliebsamer Phänomene, wie sichtbare Armut oder selbstorganisierte (und somit schwer zu kontrollierende) Strukturen, in denen sich Menschen selber helfen.
Wir von Solidarisch in Gröpelingen verurteilen die Razzien und Kriminalisierung der Betroffenen und solidarisieren uns mit den Bewohner*innen. Wir werden solche Razzien in unserer Straße oder anderen Teilen von Gröpelingen in Zukunft nicht mehr reaktionslos hinnehmen.
Unser Ziel ist es, mit möglichst vielen Nachbar*innen gemeinsam konkrete Lösungen für die Probleme in unserem Stadtteil zu finden. Grundvoraussetzung dafür ist, als Nachbar*innen miteinander in Kontakt zu kommen, sich kennen zu lernen, zu vertrauen und zu verstehen. Und sich gemeinsam gegen Probleme zu wehren, die uns alle betreffen. Erst wenn wir uns alle zugehörig und wohl fühlen, sind wir auch in der Lage mit unseren Straßen und Plätzen achtsam umzugehen.
Quellen:
https://www.weser-kurier.de/bremen/bremen-stadt_artikel,-muellrazzia-in-groepelingen-_arid,1832254.html
abgerufen zuletzt am 09.07.2019
https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/gesellschaft/muell-razzia-bremen-100.html
zuletzt abgerufen am 09.07.2019
Wohne seit 30 Jahren in der lindenhofstr in einer Wohnanlage. Dort ist die Müll-situation Auslöser vieler Konflikte zwischen den bewohnenden
… Der Müll ist auch tatsächlich ein Problem. Dass er säckeweise rumliegt, auch in dem angrenzend grünstreifen, ist aber klar – nach Wechsel des Vermieters (gagfah, deutsche annington, jetzt vonovia) wurde dir Anzahl der Mülltonnen immer schrittweise reduziert. Die Anzahl der bewohnenden aber steigt, da immer mehr Menschen sich die Wohnungen teilen, größere nicht mehr bezahlbar sind.
Jetzt guckt man zu wie sich die bewohnenden gegenseitig zerfleischen.
Ordnungsamt etc geben an, an dieser Situation nichts ändern zu können.
Es gibt mehrere Wohnanlagen die das gleiche Problem haben.
Nur meine paar Worte zum Müll