Als Bündnis Justice for Mohamed und junges Bündnis in Erinnerung an Qosay werden wir diese gemeinsame Erklärung veröffentlichen. Grund dafür ist ein Post auf Twitter, der unmittelbar nach der Trauerfeier in Gedenken an Qosay am 17. März 2021 veröffentlicht wurde.
Unsere beiden Bündnisse haben einen gemeinsamen Hintergrund: Sie sind entstanden, weil ein Mensch während eines Polizeieinsatzes getötet wurde. Und unsere beiden Bündnisse zeichnen sich dadurch aus, dass sie aus Familienangehörigen und unterschiedlich positionierten Einzelpersonen bestehen. Wir sind Menschen mit und ohne Rassismuserfahrungen, mit und ohne Fluchterfahrungen, mit und ohne Erfahrungen von Polizeigewalt und vieles mehr. Diese Vielfalt an Perspektiven und Erfahrungen ist unsere Stärke. Ebenso wie unsere Entscheidung, gemeinsam und solidarisch zu kämpfen und das Ziel nie aus den Augen zu verlieren: für Aufklärung und Gerechtigkeit einzutreten und die Ursachen zu benennen, die zu den Toden geführt haben.
Als Bündnis Justice for Mohamed, das seit fast einem Jahr besteht, war und ist unser Motto immer gewesen: Wir müssen alles dafür tun, dass so etwas nicht wieder passiert. Dafür brauchen wir einen langen Atem und wir müssen viele werden. Viele, die zusammen Druck aufbauen. Viele, die dazu beitragen, dass Mohamed Idrissi und Qosay Sadam Khalaf und die vielen anderen Opfer von Polizeigewalt nie vergessen werden. Viele, die dafür sorgen, dass sich Grundlegendes verändert.
Als wir vom Bündnis Justice for Mohamed vom Tod von Qosay gehört haben, waren wir — wie viele andere — schockiert. Wir haben die Familie kontaktiert und unsere Unterstützung angeboten. Daraus sind seitdem viele Treffen und ein enger Austausch entstanden. Und es hat sich das Bündnis in Erinnerung an Qosay gegründet, mit dem Ziel, gemeinsam eine öffentliche Trauerfeier in Gedenken an Qosay zu gestalten. Als kollektiven Ort der Trauer und der Wut. Die öffentliche Trauerfeier war für alle Beteiligten unglaublich emotional und berührend, für viele war es ein empowernder Moment. Wir haben es gemeinsam geschafft, Qosay einen würdevollen und respektvollen Abschied zu bereiten und gleichzeitig der Trauer und der Wut einen Raum zu geben. Dass dies gelungen ist, ist im Wesentlichen den Moderatorinnen zu verdanken, die im Namen des gesamten Bündnisses diese schwierige und sensible Aufgabe übernommen haben. Wir sind ihnen unendlich dankbar dafür. Wir waren vor diesem Hintergrund schockiert, als wir noch am selben Tag der Trauerfeier auf Twitter einen Post gelesen haben, der über den Account “Heval&Decolonize” veröffentlicht wurde, in dem die Moderatorinnen persönlich angegriffen und diffamiert werden.
Der Post wurde von einigen Bremer Gruppen und Einzelpersonen ohne Kenntnis der Hintergründe geteilt und geliked. Wir verstehen diesen öffentlichen Tweet als Entsolidarisierung vom und als Angriff auf das gesamte Bündnis. Er zielt ausschließlich darauf ab, sich persönlich zu profilieren, konkrete Personen zu diffamieren und das Bündnis aus Familienangehörigen und solidarischen Aktivist*innen zu spalten. Dem stellen wir uns gemeinsam entgegen! Die versuchte Diffamierung von einzelnen Personen über Twitter ist nicht nur respektlos, sondern auch maximal unpolitisch. In dem Tweet wurde das Gedenken an Qosay für eigene Zwecke instrumentalisiert. Solche Posts spielen denjenigen in die Hände, die ein Interesse daran haben, den Widerstand gegen Polizeigewalt zu delegitimieren und zu schwächen. Solche Posts verbreiten Misstrauen und Angst, sie versuchen Betroffene von Flucht, von Polizeigewalt unsichtbar zu machen und zu silencen. Das ist genau das Gegenteil von dem, wie wir uns einen solidarischen und emanzipatorischen Umgang miteinander vorstellen.
Aus dem Inhalt des Tweets wird deutlich, dass er gepostet wurde, ohne dass die Autor*in auch nur ansatzweise Informationen über die Hintergründe der Trauerfeier oder des Bündnisses hatte. Die Verfasser*in maßt sich darin an, den Moderatorinnen vorzuschreiben, wie sie über ihre eigenen Fluchterfahrungen zu sprechen haben. Fremdbestimmt bewertet sie die Fluchterfahrungen dieser beiden Frauen und diffamiert deren Erzählung als “romantisierend” — das ist übergriffig!
“Heval&Decolonize” maßt sich außerdem an, die Wünsche, Bedürfnisse und Selbstdefinition der Familie zu kennen, ohne in irgendeinem Kontakt zu der Familie von Qosay zu stehen. In den letzten Tagen saßen wir gemeinsam als Familie und Bündnis zusammen und haben viel geredet, geplant und gemeinsam getrauert. Hierbei wurde auch deutlich, dass die Familie selbst vom Irak und nicht von Südkurdistan spricht. Und nicht zuletzt macht dieser Post in patriarchaler Tradition eine der Moderatorinnen zum Objekt, in dem sie als “token” beleidigt wird, anstatt sie als eine selbstbestimmte und bewusst handelnde Person zu begreifen.
Wir als Bündnisse stehen gemeinsam und in Solidarität für unsere Ziele ein. Denn wenn es nur noch darum geht, wer wie über wen sprechen darf, werden die politischen Ziele in den Hintergrund gestellt und solidarische Handlungen diffamiert. Es entsteht ein Klima, in dem Menschen sich aus Angst vor Redeverboten und Isolation nicht mehr trauen, sich gegen jegliche Form von Diskriminierung zu äußern und gemeinsam Seite an Seite für eine gerechtere Welt zu kämpfen.
Die Trauerfeier haben wir für Qosay organisiert, der durch eine entmenschlichende Praxis ermordet wurde. Eine Trauerfeier geht selbstverständlich auf den Menschen Qosay und seine Geschichte ein. Was über Qosay erzählt wurde, ist zusammen mit Freund*innen und Familie verfasst worden — und wie es den beiden Moderatorinnen gelungen ist, dies vorzutragen, ist so wichtig und war beeindruckend! Der Vorwurf der Aneignung ist für uns daher mehr als absurd und im Grunde eine Politik der Spaltung.
“Es sind nicht unsere Unterschiede, die uns trennen. Es ist unsere Unfähigkeit, die Unterschiede zu erkennen, anzunehmen und zu feiern.” (Audre Lorde)
Wir lassen uns nicht spalten! Im Gegenteil, wir werden weiterhin gemeinsam und solidarisch kämpfen, voneinander lernen, miteinander trauern und gemeinsam lachen.
Wir fordern alle solidarisch denkenden und handelnden Personen auf, den Tweet nicht weiter zu verbreiten und sich heute und in Zukunft klar gegen solche diffamierenden und entpolitisierenden Statements und Haltungen zu positionieren.
Für einen politischen Aktivismus, der nicht nur Gerechtigkeit fordert, sondern auch Gemeinschaft & Gerechtigkeit lebt!
Danke für das Statement!
Schade, dass sich in dem Statement nicht zu der Distanzierung durch Teile der Familie von einem öffentlichen Gedenken geäußert wird.
https://www.butenunbinnen.de/nachrichten/gesellschaft/polizeigewahrsam-tod-neunzehnjaehriger-delmenhorst-oldenburg-102.html
Wie sehen die Bündnisse das?
Der account „Heval&Decolonize“ hat bei twitter 42 follower. Und deswegen veröffentlichen gleich zwei Bündnisse eine gemeinsame Erklärung? Unabhängig vom Inhalt der gemeinsamen Erklärung finde ich es gefährlich wie sehr ein post in den sozialen Medien von einer Einzelperson aufgeplustert und damit erst Wirkungsmächtigeit zugeschrieben wird. Dieser Umgang eskaliert nur ein weiter ein politisches Klima der Selbstbeschäftigung innerhalb der radikalen Linken entlang der eigenen gesellschaftlichen (Irr)Relevanz. Die Cops haben Qosay umgebracht! Und es werden Erklärungen zu twitter-posts veröffentlicht. Bitter.