„Wir kämpfen weiter!“

Gedanken zur Wiederaufnahme der Ermittlungen im Falle von Mohamed Idrissi

Am 18. Juni 2020 wurde Mohamed Idrissi vor seiner Wohnung in Bremen im Stadtteil Gröpelingen von Polizist*innen erschossen

Sein Tod ist kein tragischer Einzelfall. Mohamed Idrissi ist einer von über 160 Schwarzen Menschen und Personen of Color (PoC), die seit 1990 durch die Hände der Polizei in Deutschland zu Tode gekommen sind. Aber Mohamed Idrissi war nicht nur durch sein nicht-weißes Aussehen stigmatisiert, sondern litt auch unter einer starken psychischen Erkrankung. Die Erfahrung zeigt: Wenn die Polizei zu psychischen Krisensituationen hinzugerufen wird, verschlimmert das in den meisten Fällen die Lage. Acht von zehn aller durch die Polizei in der BRD erschossenen Menschen befanden sich zum Zeitpunkt des Polizeieinsatzes in einer psychischen Krisensituation. Nicht selten gibt es Videoaufzeichnungen, die grobe und fahrlässige Fehler im Einsatz und auch Misshandlungen durch die Polizei sichtbar machen. Trotzdem wird der allergrößte Teil der Ermittlungen gegen die Polizei eingestellt und die Polizist*innen bleiben im Dienst.

So war es auch zunächst in Bremen, im Fall von Mohamed Idrissi.

Kurz nach der Ermordung taucht ein Video auf, welches den Verlauf des Einsatzes am 18. Juni 2020 zeigt. Das Video endet mit den tödlichen Schüssen auf Mohamed Idrissi durch die Polizei. Wie üblich nach Schusswaffengebrauch leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren ein.

Für uns als Bündnis Justice for Mohamed war von Anfang an klar: hätte Mohamed anders ausgesehen, wäre er noch am Leben! Wäre er ein weißer Deutscher, hätte er in Schwachhausen oder Oberneuland gelebt und wäre er psychisch gesund gewesen, wäre er noch bei uns. Die für den Tod von Mohamed Idrissi verantwortlichen Menschen müssen zur Verantwortung gezogen werden!

Zu unserem Entsetzen wird im Oktober 2020 das Verfahren gegen den Schützen eingestellt. Die Staatsanwaltschaft sieht kein Fehlverhalten, sondern Notwehr. Wir sind fassungslos. Zwar hatte Mohamed Idrissi ein Messer bei sich, war jedoch, nachdem er mit Pfefferspray eingesprüht wurde, wohl kaum mehr als gefährlich einzustufen. Er lief quasi blind auf den Polizisten zu, welcher außerdem genug Platz zum Ausweichen gehabt hätte, und wurde dabei erschossen! Das soll Notwehr sein?

Trotz des großen öffentlichen Interesses gibt es außer der lapidaren Notwehr-Erklärung keine weiteren Informationen und keine Konsequenzen für die beteiligen Polizist*innen. So viele Fragen bleiben ungeklärt: Warum haben sich die Beamt*innen nicht deeskalierend verhalten und auf den schon gerufenen Sozialpsychiatrischen Dienst gewartet? Warum wurden unerfahrene Streifenpolizist*innen in die Situation geschickt? Warum sollte Mohamed Idrissi auf die Wache mitgenommen werden? Warum gibt es keine Tatortfotos? Was ist nach den Schüssen passiert? Wurde alles getan um Mohamed Idrissis Leben doch noch zu retten?

Wir hatten große Zweifel und wollten nicht schweigen. Im Dezember 2020, genau ein halbes Jahr nach Mohamed Idrissis Tod, versammelten wir uns für eine weitere Gedenkveranstaltung in Gröpelingen.
Hier erzählte Aicha Meisel-Suhr, Mohamed Idrissis Tochter, davon, wie sie zusammen mit ihrer Familie Nacht für Nacht die ihnen vorliegenden Informationen sichtet, das Video wieder und wieder anschaut. Es ist offensichtlich, dass die Polizei lückenhaft ermittelte. Höchstwahrscheinlich sind Beiweise unterschlagen worden und, wie in hunderten anderer Fälle, werden die Polizist*innen bestimmt nicht gegeneinander ausgesagt haben.

Schließlich wurde Aicha Meisel-Suhr ein Video zugespielt, welches zeigt, was nach den Schüssen passiert ist. Das Video und die bohrenden Fragen zum Tatverlauf führen schließlich zur Wiederaufnahme des Verfahrens Ende Januar 2021.

Wie in den Medien berichtet wird, ist auf dem Video zu sehen, wie dem angeschossenen Mohamed Idrissi Handschellen angelegt werden und er über den Boden geschleift wird. Soll das erste Hilfe sein um einen lebensgefährlich verletzten Menschen das Leben zu retten?

Für uns kommt es eher Folter gleich, bei der mit Mohamed Idrissis Leben vorsätzlich gespielt wird. Welche Gründe kann es geben, um so mit einem Menschen umzugehen? Auf welche ekelhafte Weise wird erklärt werden, dass auch dieses Verhalten angemessen war und die Beamt*innen nur ihr Leben schützen wollten?

Es bleibt dabei: Wir sprechen von Mord und rassistischer Polizeigewalt. Dies darf nicht folgenlos bleiben. Mohamed Idrissis Tod war Mord als Ergebnis eines Systems der sozialen Verdrängung, der Stigmatisierung und weiteren Ausgrenzung psychisch kranker und armer Menschen und nicht zuletzt als Folge des strukturellen Rassismus, der schon seit Jahrhunderten das Denken dieser Gesellschaft prägt und insbesondere durch Institutionen wie die der Polizei tödliche Folgen hat.

Unser Ziel ist es weiter das Schweigen nach der Ermordung von Mohamed zu brechen und für Aufklärung und Gerechtigkeit zu kämpfen.

Wir kämpfen weiter!

checkt justiceformohamed.org

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