(Bremen) Einen Tag vor dem Konzert des Musikkorps der Bundeswehr in der Bremer Glocke hat die Künstler*innengruppe MoM „Musik ohne Militär“ den Bremer Stadtmusikanten vor dem Rathaus zwei Sprechblasen umgehängt. Die Stadtmusikanten in Form der Skulptur von Gerhard Marcks positionieren sich darin gegen das für den 28. April geplante Benefizkonzert für den „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge“. In der ersten Sprechblase kräht der obenstehende Hahn den bekannten Spruch aus dem Märchen: „Etwas Besseres als den Tod findest du überall…“ Der untenstehende Esel anwortet darauf in einer zweiten Sprechblase: „Nicht in Bremen. Die Bundeswehr macht morgen Musik in der Glocke, damit das Morden weitergeht!“ Mit dem Statement machen die Bremer Stadtmusikanten ihre entschlossene Ablehnung der durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine beschleunigten gesellschaftlichen Militarisierung deutlich. Diese Sprechblasen treffen nicht überall auf Zustimmung. Noch bevor ein Foto von der Installation geknipst werden konnte, hatten ordnungsliebende Bürger*innen sie entfernt und zerrissen. Die Aktionsgruppe MoM fordert gerade deshalb selbstbewusst: „Statt die Bundeswehr mit 100 Mrd. weiter aufzurüsten – Bundeswehr abschaffen!“
Zu den Hintergründen
Die militärmusikalische Tradition Bremens
Das für den 28. April geplante Benefizkonzert für den „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ mit dem Musikkorps der Bundeswehr ist nicht das erste im Bremer Konzerthaus Glocke. Seit 2018 finden diese Benefizkonzerte jährlich statt. Die Stadt Bremen ist ein Ort mit langjähriger militär-musikalischer Tradition. Von 1965 bis 2017 fand hier die vom „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ organisierte und von der Bundeswehr unterstützte „Musikschau der Nationen“ statt. Als Nachfolger der Musikschau wurde einerseits „Bremen Tattoo“ als Militärmusikfestival in der ÖVB-Arena geschaffen. Zum anderen stellte sich der Volksbund die Frage, wie die verlorenen Einnahmen und öffentliche Sichtbarkeit kompensiert werden können. Hier sprang seit 2018 die Glocke ein, indem sie den „für Sänger besten Konzertsaal der Welt“ (Dame Margaret Price) für die Benefizkonzerte mit dem Musikkorps der Bundeswehr zur Vefügung stellte.
Gefragt nach dem Verhältnis von Militär und Musik sagt Anja Katz, die Sprecherin der Aktionsgruppe MoM: „Die Stadtmusikanten haben mit ihrem Gesang die Räuber vertrieben, um dem sicheren Tod zu entgehen. Die Bundeswehr dagegen macht Musik, um nach dem Afghanistan-Debakel endlich wieder morden zu dürfen.“ Die Bremer Kulturszene dürfe sich nicht dazu instrumentalisieren lassen, die Anwesenheit von Mörder*innen zu normalisieren, so Katz. Das gelte auch dann, wenn die Militärmärsche noch fürchterlicher klingen als das Geschrei mit dem die Bremer Stadtmusikanten im Märchen die Räuber vertrieben.
Der Volksbund und das Gedenken in der Bundesrepublik
Die Einnahmen des Konzerts sollen zugunsten des „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ verwendet werden. Mit diesem ist die Glocke seit Jahrzehnten eng verbunden. Ab 1951 fanden die durch den Volksbund organisierten offiziellen Gedenkveranstaltungen vor dem Volkstrauertag in den Räumlichkeiten der Glocke statt, bis diese 1995 ins Rathaus verlegt wurden.
Der „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ wurde nach dem ersten Weltkrieg gegründet, mit dem Ziel den deutschen Soldaten zu gedenken, die in überschäumendem Nationalismus für den Kaiser ins große Gemetzel gezogen und dabei selbst gestorben waren. In seinen ersten Jahren zeichnete sich der Volksbund durch nationalistische, völkische und revanchistische Positionen aus, die dem preußisch-deutschen Militarismus wieder zu alter Größe verhelfen wollten. Nicht wenige Mitglieder sannen darauf, sich so schnell wie möglich am Erzfeind Frankreich für die Kriegsniederlage zu rächen. Entsprechend schnell gelang es dem Volksbund unter nationalsozialistischer Herrschaft den Volkstrauertag in den „Heldengedenktag“ zu verwandeln. Die Heldenehrung wurde unter Führung des Volksbunds zu einem zentralen Stützpfeiler der nationalsozialistischen Heimatfront. Diese Form der Sinnstiftung, in der das massenweise Sterben als „Kriegsheldentum“ umgedeutet wird, gilt heute als eine der nötigen Voraussetzungen für die von den Deutschen mit unvorstellbarer Grausamkeit geführten Vernichtungskriege.
Nach der erneuten Kriegsniederlage gab es lediglich sechs Jahre, in denen es der Volksbund nicht wagte, ein offenes Gedenken an die faschistischen Mörderbanden zu organisieren. Ab 1952 jedoch ging es ohne jegliche Aufarbeitung der eigenen Beteiligung am Nationalsozialismus weiter. Seit den 80ern hat sich beim Volksbund und im staatlichen Gedenken die Formel „Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft“ durchgesetzt. Die Sprecherin der Gruppe MoM findet: „Damit werden alle Unterschiede zwischen Täter*innen und Opfern gleichgemacht. Antisemitische SS-Massenmörder, deutsche Soldaten im Vernichtungskrieg für neuen Lebensraum im Osten und die von ihnen ermordeten Millionen von Jüd*innen und sowjetischen ermordeten Zivilist*innen – für diese Leute ist da keinen Unterschied: alle sind gleichermaßen einfach nur Opfer.“ Das überrasche wenig, schließlich gehe es darum, die Verantwortung für die eigenen Taten zu relativieren, um so persönliche Macht und Weltanschauung auch unter demokratischer Herrschaft erhalten zu können, so Anja Katz.
Die Bundeswehr im Krieg
Inzwischen haben sowohl der Volksbund als auch die Bundeswehr verstanden, dass sich die Zeiten geändert haben. Deutsche Soldaten dürfen – wie es auf dem Ehrenmal der Bundeswehr in Berlin heißt – nur noch „für Frieden Recht und Freiheit“ statt im Namen von Volk, Nation und Führer in den Krieg ziehen. Anja Katz erklärt, dass auch der Volksbund neben der scheinbaren Sinnstiftung für das Sterben vor allem daran arbeite, der Bundeswehr den freiheitlich-demokratischen Anstrich einer Armee zu geben, die ganz anders funktioniere als die Wehrmacht. Da sich so grundsätzlich, seit die Bundeswehr 1955 von alten Nazi-Generälen aufgebaut wurde, an ihren Strukturen nichts geändert hat, werden dort auch heute noch massenweise rechte Weltbilder (re-)produziert. Anja Katz fordert daher: „In der Bundeswehr wird alles was nicht niet- und nagelfest ist, von den Nazi-Preppern nach Hause geschleppt. Statt solchen Leuten in der Glocke eine Bühne zu bieten, sollten wir die Bundeswehr abschaffen und die Menschen unterstützen, die sich gegen den Krieg wehren.“ Das könne beispielsweise heißen: ziviler Widerstand, Flucht oder Desertion.
Mit dem Benefizkonzert versucht sich die Bundeswehr als selbstverständlichen und alltäglichen Teil der Gesellschaft in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Erst durch jahrelanges Werben, wie am Tag der Bundeswehr, durch Kulturveranstaltungen und Konzerte sowie durch Einsätze im kaputtgesparten Gesundheitssystem in Zeiten der Pandemie, gelingt es der Bundeswehr eine Militarisierung des Denkens zu erzeugen, die sie für ihre Fortexistenz brauche, analysiert die Gruppe MoM. All das können zivile Organisationen jedoch viel besser erledigen. „Die Gedenkveranstaltungen von Bundeswehr und Volksbund sind dabei besonders perfide“ so Anja Katz. „Das Kriegsministerium konnte in Afghanistan nie erklären, welchen Sinn das Morden und Sterben von Soldat*innen haben soll. Deswegen brauchen sie diesen volksbündischen Totenkult mit den absurden Ritualen und Denkmälern. Diese Leute wollen, dass Krieg trotz allem weitergeht.“
Das Märchen von den Bremer Stadtmusikanten lasse sich der Aktionsgruppe MoM zufolge als eine Geschichte des solidarischen Widerstands gegen übermächtige Gegner*innen verstehen. „Die für ihre Herren nutzlos gewordenen Tiere schließen sich zusammen und vertreiben die schwer bewaffneten und übermächtigen Räuber*innen – übrigens mit Musik, also ziemlich gewaltfrei.“ Die Bundeswehr dagegen sei dazu da, die moderne demokratische Herrschaft mit militärischer Gewalt und rückwärtsgewandten Gesellschaftsvorstellungen von heldenhaften Männern sicherzustellen. „Statt der Bundeswehr 100 Mrd. zu geben, sollten wir sie abschaffen und von ukrainischen Zivilist*innen lernen, die sich russischen Panzern in den Weg stellen. Wir sollten allen Menschen helfen, die vor dem Krieg fliehen oder desertieren.“ Was zivilen Widerstand angeht, lässt sich hierzulande in der Tat noch einiges aus der Ukraine lernen: Das deutsche Militär hat in seiner Geschichte noch nie „deutschen Boden“ verteidigen müssen – außer es stand wiedermal kurz davor, einen der selbst begonnen Weltherrschaftskriege zu verlieren.