kopiert aus der taz
Rechte Taten im Visier
Zwei Beratungsstellen wollen rechte Vorfälle in Bremen und Umland dokumentieren. Unter „Keine Randnotiz“ können Betroffene selbst Erlebnisse melden.
Juli 2019: Zwei Schwule werden in einem Club in der Neustadt geschlagen und homophob beleidigt. Eine Familie, die für nicht-deutsch gehalten wird, findet vor dem Eingang zu ihrem Kleingarten ein Hakenkreuz aus Zucker. Vier Afghanen werden im Schnoor körperlich angegriffen und beleidigt.
2018 hat rechte Kriminalität im Land Bremen laut Verfassungsschutz stark zugenommen. Vorfälle wie die oben beschriebenen fanden schon zuvor Beachtung, jetzt wollen zwei Bremer Beratungsstellen gegen rechte und rassistische Gewalt sie auch zentral erfassen, archivieren und strukturiert für die Öffentlichkeit zugänglich machen. Die Projekte Soliport und „Pro aktiv gegen rechts“ haben dafür am Mittwoch die Plattform „Keine Randnotiz“ online gestellt, nach einem Jahr Planung.
Bis zurück in den Januar 2017 haben die Macher rechte Vorfälle dokumentiert. Von nun an soll die Webseite ständig aktualisiert werden. Bis Redaktionsschluss waren 101 Vorfälle aus Bremen, Bremerhaven und der näheren Umgebung auf der Plattform versammelt.
Mit bisher unbekannten Informationen zum Ausmaß rechter Gewalt in Bremen sollten die Nutzer*innen der Webseite zunächst nicht rechnen: Ein Großteil der dokumentierten Meldungen wurde bereits über Polizeimeldungen oder Presseberichte verbreitet. „Man vergisst die Fälle aber wieder, auch wenn man davon gehört hat“, glaubt Josef Borchardt von Soliport.
Rechte Straftaten sichtbar machen
Die Initiativen wollen zeigen, dass es sich nicht um isolierte Ereignisse handelt: „Wir machen die Kontinuität rechter Straftaten sichtbar“, so Max Wengel von „Pro aktiv gegen rechts“. Rechte Taten, auch dass zeige sich durch die Dokumentation, kämen nicht nur von einem rechten Rand, sondern seien überall in der Gesellschaft zu finden.
Auch Ereignisse unterhalb des Straftatbestandes werden deshalb aufgenommen. „Wenn ich ausgelacht oder diskriminiert werde, verändert das mein Sicherheitsgefühl“, so Wengel. Viele Meldungen betreffen aber handfeste Beleidigungen, Bedrohungen und Gewaltanwendungen. Prominent vertreten sind mit 49 Meldungen auch Propagandadelikte wie Hitlergrüße und Wandparolen.
Angst, Hakenkreuzschmierern durch die Webseite erst eine Öffentlichkeit zu geben, haben die Initiatoren nicht: „Die Erfahrung zeigt, dass sich rechte Aktivitäten eher verstärken, wenn Kommunen versuchen, sie durch Wegschauen auszutrocknen“, sagt Wengel. „Wer das Problem nicht sieht, wird sich nicht im Kampf gegen Rechts beteiligen.“
Wer recherchieren möchte, kann sich Vorfälle chronologisch anzeigen lassen, über eine Karte Meldungen aus einzelnen Stadtteilen oder Straßen suchen oder rechte Aktivitäten nach Schlagwörtern ordnen – „Sachbeschädigung“ und „Körperverletzung“, „Antisemitismus“ und „Ableism“, „LGBTIQ“ oder „Hatespeech“ heißen die etwa.
Die Bandbreite ist groß – und bildet doch nur einen Teil der Realität ab. Viele Ereignisse werden gar nicht bei der Polizei angezeigt, die Betroffenen hätten Angst, dass ihnen dort nicht geglaubt wird.
Obwohl Soliport auch Vorfälle aus seiner Beratungsarbeit in das Projekt einfließen lassen möchte, lässt sich das Problem der Dunkelziffer nicht einfach lösen: Da Diskriminierungserlebnisse geradezu alltäglich seien, würden viele Erfahrungen nicht gemeldet. Und nicht alle, die bei Soliport vorsprechen, so Borchardt, wollen ihre Geschichte veröffentlicht sehen.
Helfen soll eine Meldefunktion auf der Webseite. Betroffene und Zeug*innen können über ein Onlineformular von Vorfällen berichten; sie dürfen anonym bleiben – allerdings brauchen die „Keine Randnotiz“-Betreiber einen Kontakt, um die Geschichte nachrecherchieren zu können.
„In der Beratungsarbeit gibt es für uns keinen Grund, an den Aussagen zu zweifeln“, erklärt Borchardt. Doch für das Dokumentationsprojekt bedürften alle Vorfälle einer zusätzlichen Validierung, etwa durch Zeugen: „Wir veröffentlichen nur, was wir für sicher halten – wir wollen ernst genommen werden.“
Bisher gibt es die Webseite ausschließlich auf Deutsch – eine potenzielle Hürde für Betroffene. Zumindest beim Meldeformular soll das möglichst bald geändert werden. Die Berichte zu übersetzen sei aber „mit unseren Ressourcen nicht zu schaffen“, bedauert Borchardt. Für das „Keine Randnotiz“-Projekt hat der zuständige Mitarbeiter etwa acht Wochenstunden zur Verfügung.
Quelle: taz.de