Der Kampf um die Fankurve

kopiert aus dem Weser Kurier

Stefan (Name geändert) ist Mitte 30 und langjähriger Werder-Fan. Seit mehr als 15 Jahren ist er nach eigenem Bekunden bereits in der Ultra-Szene organisiert. Die Fanstrukturen in Bremen hätten sich seitdem stark verändert, erzählt er. Werder sei nicht immer der engagierte, weltoffene Verein gewesen mit einer Anhängerschaft, die im Stadion klar Stellung bezieht gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie. Als Stefan in den harten Kern der Fanszene eintauchte, hätten rechte Hooligans den Ton in der Kurve angegeben.

Unter den Ultras sei die Eastside die einflussreichste Gruppe gewesen. Trotz des angeblich unpolitischen Selbstverständnisses habe die Eastside offen rechte Mitglieder beherbergt und sei ein Bindeglied zwischen Ultras und Hooligans gewesen, sagt Stefan. Als vermehrt linke Gruppen und Personen aktiv wurden, sei es immer wieder zu Bedrohungen von rechts gekommen. 2004 etwa, ein Jahr vor der Auflösung der Eastside, habe es bereits einen Übergriff von rechten Hooligans auf linke Fans gegeben. Die Opfer seien sowohl Mitglieder der Eastside als auch der antirassistischen Fangruppe Circle D’Amis gewesen.

Überfall auf den Ostkurvensaal

Dann kam der 20. Januar 2007. Die antirassistische Ultra-Gruppe Racaille Verde feierte ihr einjähriges Bestehen im Ostkurvensaal des Weserstadions. Auch Stefan war auf der Party. Irgendwann nachts sei ein Nachwuchs-Hooligan am Eingang erschienen. Ein bekanntes Gesicht, wie er sagt. Er habe eine Jacke der Marke Thor Steinar getragen und sei deswegen – wie zu erwarten – abgewiesen worden. Thor Steinar ist ein unter Rechtsextremen beliebtes Erkennungszeichen. Für Stefan eine bewusste Provokation vor dem großen Knall: Eine halbe Stunde später standen plötzlich zwei Dutzend rechtsextreme Hooligans vor der Tür und bedrohten die Anwesenden. Ältere Gäste, die ein gewisses Ansehen hatten, hätten versucht, die brenzlige Situation zu beruhigen. Vergeblich.

Die Hooligans stürmten in den Saal und prügelten auf die Feiernden ein. „Sie haben gezielt nach bestimmten Leuten gerufen, die sie für Führungspersonen der Gruppe hielten“, sagt Stefan. Aber auch andere Gäste hätten sie wahllos niedergeschlagen. Im Saal brach Panik aus. „Der Saal ist ein geschlossener, dunkler Raum. Es war eng und beklemmend“, schildert er. Nach wenigen Minuten verschwanden die Schläger, bevor die Polizei eintraf.

Für ihn und viele andere sei der Vorfall eine Zäsur gewesen. Ein Ausmaß, das es vorher nicht gegeben habe. Er sei mit Anfang 20 einer der älteren unter den meist jugendlichen Gästen im Saal gewesen. Die Erlebnisse hätten viele Minderjährige traumatisiert. Er selbst habe Erinnerungslücken, obwohl er nicht viel Alkohol getrunken habe. Nach dem Überfall sei er planlos um das Stadion gelaufen, eine komplette Stunde fehle ihm rückblickend. „Adrenalin“, sagt er, „der Körper spult in solchen Situationen sein Überlebensprogramm ab.“

Die grün-weiße Fanszene sei seitdem nicht mehr dieselbe. Vorher hätten viele Fans versucht, sich mit den Hooligans gut zu stellen und den offenen Konflikt zu vermeiden. Vielleicht wollten die Hooligans ein Zeichen setzen, überlegt er. Eine Machtdemonstration, um die linken und antirassistischen Umtriebe zu unterbinden. In den Tagen nach dem Überfall habe die Szene gemeinsam überlegt, wie es weitergehen soll. Manche Ultras hätten Angst gehabt, andere hätten eine klare Grenze ziehen wollen. Vom Verein sei zunächst keine wirkliche Hilfe gekommen, das Fanprojekt etwa habe einen runden Tisch vorgeschlagen, an dem auch die Rädelsführer der Hooligans sitzen – der Vorschlag sei von Ultra-Seite empört zurückgewiesen worden.

Keine Unterstützung von Verein und Justiz

Die Ultras entschieden sich dazu, die Schläger vor Gericht zu bringen. Viele machten Aussagen, was sehr ungewöhnlich sei, sagt er – Zusammenarbeit mit den Behörden ist in der Szene normalerweise ein großes Tabu. Der Gang zur Polizei habe viele Betroffene daher einiges an Überwindung gekostet. Viel gebracht habe es nicht: Mehr als vier Jahre später begann der Prozess gegen sieben Schläger, die letztlich mit Geldstrafen davonkamen. Die Enttäuschung nach dem Verfahren sei groß gewesen, sagt Stefan. Der Überfall sei vor Gericht zudem entpolitisiert worden, beklagt er. Der rechtsextreme Überfall sei keine einfache Meinungsverschiedenheit unter Fußballfans gewesen. Das Vertrauen vieler Ultras in Polizei und Justiz habe durch das Verfahren stark gelitten. „Es ist komplex und sicher nicht schwarz-weiß, aber es gibt zumindest die Tendenz, gegen Ultras zu ermitteln und gegen Hools nicht“.

Der Überfall auf den Ostkurvensaal habe jedoch auch eine positive Entwicklung angestoßen: In den Folgejahren hätten die Ultras die Nazis erfolgreich aus dem Stadion verdrängt. Heute seien die rechten Hooligans nur noch sehr selten als Gruppe vor Ort, meist nur als Einzelpersonen, sagt er. Und auch dann würden sie riskieren, rauszufliegen. Nicht zuletzt wegen der Ordner, die heute sehr viel sensibilisierter dafür seien. Die Ultra-Szene sei seitdem stark gewachsen und habe den Nazis ihr Rekrutierungsfeld abgegraben. Die Hooligans hätten ihre Vormachtstellung verloren und würden nicht mehr die gleiche Bedrohung darstellen wie vor 15 Jahren.

„Die Gefahr ist noch nicht gebannt“

Rückblickend sei er, so komisch das klingen mag, sogar froh, dass es zum Überfall auf die Party kam. „Vielleicht hätten wir heute sonst eine andere Szene“, überlegt er. Eine Szene, in der die Hooligans immer noch den Ton angeben und in der die antirassistischen Ultras sich nicht trauen, den Mund aufzumachen. Eine Szene, die sich nicht positioniert gegen Neonazis und rechte Schläger, sondern aus Angst vor ihnen kuscht. „Es war ein Eigentor für die Hooligans, die Einschüchterung hat nicht funktioniert.“ Die Gefahr sei jedoch nicht gebannt, die Hooligans hätten Bremen sicherlich nicht aufgegeben. „Man darf sich nicht ausruhen“, betont Stefan. Was lange gewachsen sei, könne sich auch wieder verändern.

kopiert aus dem Weser Kurier

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