Protest nach Urteilsverkündung im NSU Prozess

Bremer Antifaschist_innen fordern KEIN SCHLUSSSTRICH

Nachdem das Münchener Landgericht am 11.07.2018 zu einem Urteil gegen die wenigen Angeklagten im „NSU Prozess“ gekommen ist, zogen über 350 Antifaschist_innen durchs Bremer Viertel vor das Landgericht. Im Zusammenhang mit der bundesweiten Kampagne KEIN SCHLUSSTRICH formulierten Aktivist_innen ihre deutliche Position:

Wir sind heute hier in Gedenken an: Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Mehmet Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık Halit Yozgat und alle weiteren Opfer rassistischer Gewalt. Kein Vergessen – Kein Schlussstrich!

Wir sind heute hier, weil am OLG München das Urteil im NSU Prozess gesprochen wurde. Für uns ist dies jedoch nicht das Ende der Auseinandersetzung mit dem NSU. Es gibt noch zu viele offene Fragen. Wir werden wachsam sein und solidarisch an der Seite der Betroffenen rassistischer Gewalt und der Angehörigen der Ermordeten und Verletzten stehen.

Wir fordern:

Kein Schlussstrich! – NSU-Komplex aufklären und auflösen

Warum wir diese Demo nicht angemeldet haben:

Wir fordern die Polizei auf sich zurück zu ziehen. Wir sind nicht hier um zu provozieren. Wir sind nicht hier um die Konfrontation zu suchen. Für uns ist es ein wichtiges politisches Signal, für eine Demonstration, die eine Kritik an den deutschen Sicherheitsbehörden zum Ausdruck bringt, eben diese Sicherheitsbehörden nicht um Erlaubnis zu fragen. Wir sind nicht hier um Erlaubnis zu fragen, wir sind hier um Anzuklagen!

Zur Urteilsverkündung

Beate Zschäpe mag zwar zu einer Höchststrafe verurteilt worden sein, das Strafmaß der anderen Mitangeklagten liegt jedoch weit unterhalb der Forderungen der Nebenklage und der Bundesanwaltschaft. Doch letztendlich geht es darum nicht. Die Höchststrafe für Beate Zschäpe ist kein Grund zum Feiern, wenn so viele Fragen noch ungeklärt sind! Gamze Kubasik, die Tochter des vom NSU in Dortmund ermordeten Mehmet Kubasik sagt, die Aufklärung sei noch nicht am Ende „Ich hoffe nun, dass auch alle weiteren Helfer des NSU gefunden und verurteilt werden. Wenn das Gericht ehrlich ist, wird es auch noch sagen, dass Lücken geblieben sind. Solange diese Lücken bleiben, können meine Familie und ich nicht abschließen.“

Auch die Anwält_innen der Nebenklage äußern Kritik: Das OLG München hat mit seinem Urteil vom heutigen Tag all denjenigen, die sich um eine wirkliche Aufklärung Straftaten des NSU und ihrer Hintergründe bemühen, einen Schlag ins Gesicht versetzt. Die Beschränkung der Aufklärungsbemühungen auf eine harte Verurteilung Beate Zschäpes, bei gleichzeitiger Verharmlosung der Tatbeiträge und der Ideologie der Unterstützer und Leugnung jeglicher Verantwortlichkeit staatlicher Stellen, geht viel weiter, als dies nach der bisherigen Beweisaufnahme zu befürchten war.“

Die Initiative NSU Watch sagt nach dem Urteil: „Das Urteil und seine Begründung sind eine Einladung an die terroristische Neonaziszene: Sie können nahezu straffrei dort weitermachen, wo der NSU 2011 aufgehört hat. An dem geringen Strafmaß für Ralf Wohlleben und André Eminger zeigt sich, dass die Unterstützungshandlungen zweier überzeugter Nationalsozialisten, die diese Überzeugung auch im Gericht offensiv zur Schau getragen haben, als quasi Freundschaftsdienste bagatellisiert und entpolitisiert werden.“

Zusammengefasst: Lebenslange Haft für Beate Zschäpe, Nur 2,5 Jahre für NSU-Unterstützer André Eminger. Die Urteile im NSU-Prozess zeigen deutlich, der Staat hält an der Trio-Theorie fest bis zum Ende. Echte Aufklärung für die Angehörigen – Fehlanzeige.

Passend zum heutigen Tag wiederholen wir die Anklage des NSU Tribunals

Wir klagen an! Dies ist unsere Anklage. Im Namen der Aufklärung, im Namen der Gerechtigkeit, im Namen der Opfer und ihrer Angehörigen. Diese Anklage ist das Ergebnis unserer Anstrengungen, den NSU-Komplex und seine Akteur*innen sichtbar zu machen. Sie steht im bewussten Widerspruch zur strafrechtlichen Anklage der Bundesanwaltschaft, die den NSU als das Werk einiger Weniger verharmlost: Es gibt immer noch viel zu wenig Ermittlungsverfahren gegen lokale Unterstützernetzwerke und es gibt keine gegen staatliche Helfer und Unterstützer, gegen V-Leute des Verfassungsschutzes. Es fehlen vollständig die Verfahren gegen Ermittler, gegen Polizeibeamte, gegen Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, gegen Präsidenten und Abteilungsleiter von Verfassungsschutzbehörden,Verfahren, die nicht nur wegen Inkompetenz und Untätigkeit sondern auch wegen aktiver Unterstützung geführt werden müssten. Auf diese Anklagebank gehören nicht 5 sondern 50 oder noch besser 500 Personen, die alle mitverantwortlich sind für diese Mordtaten, für diese Sprengstoffanschläge, nicht nur weil sie sie nicht verhindert haben, sondern auch weil sie nichts getan haben, um sie aufzuklären aber auch, weil sie aktiv mitgewirkt und unterstützt haben.“ Wir klagen auch die institutionellen Logiken und Routinen an, die es nicht erlauben, die Nichtverhinderung der Verbrechen als eine Serie von Versagen und Pannen abzutun. Die Extremismusdoktrin, der institutionelle Rassismus staatlicher Behörden, die Vertuschung geheimdienstlicher Arbeit, der kulturalisierend-stigmatisierende Blick der Medien auf Migrant*innen oder die unmittelbar nationalsozialistischen Lebenswelten in Zwickau, Chemnitz und anderen Orten wirkten dabei systematisch zusammen. Diese Strukturen funktionieren unabhängig von konkreten austauschbaren Personen.

Stimmen eines Nebenklägers/ Forderung nach Aufklärung Wir schließen uns der Meinung der Betroffenen des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keuptstraße an. So sagte Muhammet Ayazgün, Nebenkläger im NSU Prozess: „Wie hoch Zschäpe und ihre Mitkämpfer verurteilt wurden, ist nicht entscheidend. Entscheidend ist, die Hintergründe aufzuklären – abschreckend wirkt nicht die Strafverfolgung, sondern auch die Aufklärung, das heißt die Verhinderung weiterer Taten dieser Neonazis.“

Selbstkritik

Wenn wir heute hier sind um anzklagen, müssen wir den Blick auch auf unsere eigenen Strukturen richten. Auch wir, die radikale Linke, haben es versäumt an der Seite der Angehörigen der Opfer des NSU zu stehen. Als in Kassel die Demonstrationen stattfanden, in denen für die Forderung danach, der Mordserie ein Ende zu setzen, auf die Straße getragen wurde, hat nicht nur die Mehrheit der Öffentlichkeit nicht zugehört. Auch die radikale Linke hat nicht zugehört. Dieses Versagen muss benannt und anerkannt werden. Rassismus ist eben nicht nur der Rassismus der anderen und wird auch von uns tagtäglich reproduziert. Eine Antifa, die diesen Namen verdient, muss den kritischen Blick nach innen richten und lernen zuzuhören. Und das nicht nur heute sondern jeden Tag.

Forderungen

Wir wollen wissen, wer für die Mordserie, die Anschläge und den Terror verantwortlich ist. Es geht uns um die Entschädigung der Betroffenen, Überlebenden und Hinterbliebenen sowie die Würdigung ihrer Perspektive in der Debatte. Wir müssen über gesellschaftlichen Rassismus reden. Selbstkritisch müssen wir auch über unsere eigenen Rassismen reden. Wir fordern die Abschaffung des Verfassungsschutzes. Wir wehren uns gegen rassistische Stimmungsmache und Gewalt.

Weitere Aktionen im Kontext der Kampagne KEIN SCHLUSSSTRICH sollen folgen.

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