Bremer Jugendamt legt Minderjährige zum Abtransport in Handschellen


Wenn ihr das lest und euch das Vorgehen auch schockiert, schreibt doch gerne an die Innere Mission in Bremen, das Jugendamt oder die Sozialbehörde und positioniert euch.

Das Bremer Jugendamt hat auf Anweisung der Sozialbehörde begonnen, gegen Minderjährige Geflüchtete, die der Umverteilung in eine andere Stadt nicht folgen wollen, unmittelbaren Zwang anzuwenden. Das betrifft Jugendliche, deren Minderjährigkeit vom Jugendamt Bremen anerkannt wurde. Auf Bestreben des Landes Bremen (!) werden seit 2015 auch Minderjährige Geflüchtete bundesweit verteilt. Die Umverteilung ist jedoch ausgeschlossen, wenn sie dem Kindeswohl widerspricht. Meistens wissen die Jugendlichen nicht, dass sie gegen die Umverteilung rechtlich vorgehen können. Was ihnen bleibt, ist immer wieder zu betonen, dass sie nicht gehen wollen. Um die Umverteilung trotzdem durchzuführen, wendet das Bremer Jugendamt nun psychische und physische Gewalt an. So wurde am Donnerstag ein 17-jähriger Junge morgens früh um 6 Uhr aus dem Schlaf gerissen und mit einem Polizeiaufgebot in Handschellen aus der Einrichtung für Minderjährige in der Steinsetzer Straße geholt. Das Jugendamt hatte den Jugendlichen nach mehr als 4 Monaten in Bremen umverteilt. Er sollte nach Gerswalde in der Uckermark, weigerte sich aber den Transfer anzutreten, weil er in Bremen schon zur Schule ging und Freundschaften geschlossen hatte. Ihm wurde noch nicht mal Zeit gelassen, sich anzuziehen. In Begleitung der Polizei, in Anwesenheit von Mitarbeitern der Inneren Mission, u.a. dem Leiter Herr Kattner, und Mitarbeitern des Bremer Jugendamtes wurde der Junge in Handschellen abgeführt und im Polizeiauto nur mit Shorts bekleidet nach Gerswalde gebracht. Die Handschellen wurden während der gesamten Fahrt über 6 bis 7 Stunden nicht abgelegt. Die ganze Maßnahme fand vor den Augen der anderen Minderjährigen statt, die ebenfalls in der EAE untergebracht sind.

Bereits vor einigen Monaten hatte das Jugendamt einen Jugendlichen in derselben Weise morgens früh abgeholt. Das Jugendamt und die Sozialbehörde sagen, die Maßnahmen würden sofort abgebrochen, sobald das Kindeswohl gefährdet werde. Dafür seien Jugendamtsmitarbeiter*innen vor Ort. Scheinbar sind ein Polizeiaufgebot, aus dem Schlaf gerissen werden, 6 Stunden in Handschellen und Shorts im Winter für das Bremer Jugendamt keine Kindeswohlgefährdung. In einer Verwaltungsanweisung legt die Sozialbehörde die Anwendung von unmittelbarem Zwang – also konkret körperlicher und psychischer Gewalt – nun als Standardvorgehen fest, wenn Jugendliche nicht von alleine gehen wollen. In einem offenen Brief fordern Fluchtraum Bremen e.V. und der Flüchtlingsrat Bremen die Sozialbehörde, den Jugendhilfeausschuss und die Sozialdeputation auf, diese Vorgehensweise zur Vermeidung weiterer Kindeswohlgefährdungen sofort einzustellen. In der Pressemitteilung des Flüchtlingsrates wird auch die Innere Mission scharf kritisiert. Ihr Dachverband, die Diakonie, hatte erst kürzlich ein Gutachten mitverfasst und veröffentlicht, in dem Gewaltanwendung bei Umverteilungen von Minderjährigen strikt abgelehnt und in jedem Fall als ein Verstoß gegen das Kindeswohl gewertet werden. Der Inneren Mission Bremen ist das aber wohl egal. Wichtiger ist ihr, weiterhin Aufträge von der Stadt Bremen zu erhalten. Auf Nachfrage der taz behauptet die zuständige Bereichsleiterin, sie wisse von nichts.

siehe auch
taz: Handschellen für Teenager
Pressemitteilung des Flüchtlingsrates Bremen folgt

Pressemitteilung vom 14.01.2020
Jugendamt lässt Handschellen anlegen

Das Jugendamt Bremen greift gegenüber jugendlichen Schutzbedürftigen, die sich einer umstrittenen Verteilungsregel nicht beugen wollen, zu Gewalt. Der Flüchtlingsrat und Fluchtraum Bremen e.V. haben am heutigen Tag einen Offenen Brief an die Senatorin für Soziales, die Sozial-Deputation sowie den Jugendhilfeausschuss geschrieben, damit diese Gewaltanwendung gegen schutzbedürftige Jugendliche sofort gestoppt und das Kindeswohl nicht weiter gefährdet wird.

Zum Hintergrund: Vor wenigen Tagen wurde ein 17-jähriger unbegleiteter geflüchteter Bewohner der Jugendhilfe-EAE Steinsetzer Straße unter Anwendung körperlicher und psychischer Gewalt in eine andere Jugendhilfeeinrichtung nach Brandenburg verbracht. Ca. 10 Polizist*innen stürmten gegen 6 Uhr morgens in sein Zimmer, nötigten ihn sich anzuziehen und legten ihm Handschellen an. Danach verbrachten sie ihn gegen seinen erklärten Willen gewaltsam in eine andere Jugendhilfeeinrichtung. Die Handschellen wurden dem 17-Jährigen erst nach der mehrstündigen Fahrt im Polizeitransporter in Brandenburg wieder abgenommen. Bereits im Oktober 2019 war eine solche Verteilungsentscheidung gegen einen 16-Jährigen gewaltsam und mitHandschellen durchgesetzt worden. Die Zwangsmaßnahme hat die Betroffenen nachhaltig verängstigt, sie fühlten sich hilflos und ausgeliefert. Gegen die Jugendlichen ist kein Strafverfahren anhängig. Niemand hatte behauptet, sie seien gefährlich, niemand musste vor ihnen geschützt werden. Es handelte sich ausschließlich um die Durchsetzung einer „Maßnahme“ der Jugendhilfe (Verteilung nach § 42 b SGB VIII), die im Auftrag des Bremer Jugendamtes mit Mitteln des unmittelbaren Zwangs durch die Polizei durchgesetzt wurde.
Die Jugendlichen hatten zuvor mehrfach – auch schriftlich – dem Jugendamt gegenüber deutlich gemacht, dass sie nach mehreren Monaten Aufenthalt und sogar Schulbesuch in Bremen wegen ihrer hier bestehenden sozial-emotionalen Bezüge und schützenswerten Bindungen nicht aus Bremen wegverteilt werden möchten. Ihr Interesse wurde im Verfahren jedoch nicht berücksichtigt. Das Jugendamt behauptet vielmehr, die Verteilung und das damit verbundene grundgesetzwidrige Eindringen der Polizei in eine Unterkunft für Minderjährige liege „im Interesse des Kindeswohls“. Bei der vom Verein für Innere Mission betriebenen Einrichtung handele es sich nur um eine vorübergehende Inobhutnahme, die nicht für einen dauerhaften Aufenthalt geeignet sei.
„Die Anwendung von Gewalt lag ganz offensichtlich nicht im Interesse des betreffenden Jugendlichen. Das ‚Kindeswohl‘ wurde nur zur Kaschierung der gewaltsamen und grundrechtswidrigen Durchsetzung einer Verwaltungsmaßnahme vorgeschoben“, so Gundula Oerter vom Flüchtlingsrat Bremen. „Es wäre ohne Zweifel möglich und definitiv ein milderes Mittel gewesen, den Jugendlichen mit seinem Einverständnis einer anderen Einrichtung in Bremen zuzuordnen.“ 2015 hatte neben Bayern vor allem Bremen auf die Einführung der generellen Verteilung von unbegleiteten, minderjähigen Geflüchteten gedrängt – und dies obwohl bundesweit Wohlfahrts- und Jugendhilfe-Fachverbände kritisiert hatten, dass ein solches Zwangs-Verteilssystem die Mindeststandards und Zielsetzungen der Jugendhilfe unterläuft. „Anstatt sich für die Umverteilung von Geld und Ressourcen stark zu machen, für die es eine Rechtsgrundlage im Kinder- und Jugendhilfegesetz gibt, wurde 2015 entschieden, die Jugendlichen wie Gegenstände zu verschieben“, kritisiert Oerter. „Die Regelung ignoriert das wichtigste Prinzip der Jugendhilfe: die vorrangige Berücksichtigung des Kindeswohls, also der besonderen Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen.“ Viele unbegleitete Jugendliche leiden sehr unter dieser „Jugendhilfe light“. Für die Jugendlichen sind die sozialen Bezüge, also Communities und Freund*innen, die nach einer entwurzelnden Flucht oft nur noch sehr spärlich vorhanden sind, von größter Bedeutung. Diese bleiben bei der Verteilungsentscheidung aber nahezu immer unberücksichtigt.
Die grundsätzliche Rechtswidrigkeit von Gewaltanwendung in Fällen wie in denen der beiden 16- und 17-Jährigen, wurde bereits 2017 vom „Deutschen Verein für Öffentliche und Private Fürsorge“ festgestellt. Ein Gutachten des Vereins benennt, was offenkundig ist: Die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung einer Verteilung liegt ausnahmslos nicht im Interesse des Kindeswohls und ist unangemessen. Das Diakonische Werk Bremen ist wiezahlreiche andere Träger der Sozialen Arbeit Mitglied im „Deutschen Verein“. Die Träger haben sich damit eindeutig fachlich positioniert.

„Wir befürchten, dass das Bremer Jugendamt auch weiterhin behaupten wird, zum Besten von geflüchteten Jugendlichen zu handeln, indem es ihnen Handschellen anlegen lässt“, so Oerter. „Wir fordern daher das Jugendamt auf, Verteilungen nicht mit Gewalt durchzusetzen und wir fordern vom Verein für Innere Mission, dem die Jugendlichen anvertraut werden, sich nicht an solchen gewaltsamen Verschleppungsaktionen mittelbar zu beteiligen.“Statt dessen muss in jedem Fall das Gespräch mit den betroffenen schutzbedürftigen Jugendlichen gesucht werden und im Zweifel – ganz im Sinne des o.g. Gutachtens – auf die Durchsetzung einer Verteilung von Minderjährigen im Sinne des Kindeswohl verzichtet werden.

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