Zusammenfassung:
Am Dienstag, 21. Januar, kam es vor dem Amtsgericht in Syke in Begleitung vieler solidarischer Prozessbegleiter*innen zur Verhandlung gegen einen Antifaschisten, der beschuldigt wurde, sowohl den Bremer (ex)-AfD-Abgeordneten Frank Magnitz, als auch seine Frau mit dem Begriff Nazi beleidigt zu haben.
Das Spannende hierbei war insbesondere die Rolle der Staatsanwaltschaft Verden. Sie drehte aus dem “Sachverhalt” eine Formalbeleidigung. Eine Formalbeleidigung bezeichnet kontextunabhängig eine Beleidigung für jede Person und würde somit auch Personen wie Horst Mahler (bekennender Holocaust-Leugner) das Recht zusprechen, sich durch die Aussage Nazi beleidigt zu fühlen. Arschloch ist beispielsweise auch eine Formalbeleidigung.
Der Angeklagte wurde von beiden Vorwürfen der Beleidigung gegen Hernn und Frau Magnitz freigesprochen, inklusive der Übernahme der Verfahrenskosten durch den Staat. Auch wenn wir den bürgerlichen Staat und seine Gesetze ablehnen, so ist es trotzdem erfreulich, wenn ein Genosse sich nicht weiter mit nervigen Verfahren herumschlagen muss. Darüber hinaus wirkt das Urteil erstmal grundsätzlich positiv, dennoch sind das Verfahren an sich und seine näheren Begleitumstände eine politische Katastrophe gewesen.
Details & Analyse:
Ein Großaufgebot der Polizei belagerte angrenzende Parkplätze und das Gerichtsgebäude. Dazu gesellte sich eine ganze Faust an BKA-Personenschützern, die für das leibliche Wohlergehen von Magnitz sorgten. In Verbindung mit harten Einlassauflagen (kein Einlass ohne Persokopie!), wurde ein Bild der unmittelbaren Bedrohung gezeichnet.
Zum Prozessauftakt verlas der Angeklagte eine starke und differenzierte Prozesserklärung, in der er erklärte, dass das ihm Vorgeworfene eine Frechheit sei, da er eine Person wie Magnitz nicht für einen Nazi halte und die inflationäre Verwendung dieses Begriffs eher eine Gefahr darstelle. Dennoch könne er ganz klar nachvollziehen, wenn Leute Magnitz faschistische Tendenzen nachsagen. Ansonsten machte er konsequenten Gebrauch von der Aussageverweigerung.
Direkt im Anschluss versäumte das Gericht – in inniger Verbindung mit der Staatsanwaltschaft – eine von der Verteidigung vehement eingeforderte, notwendige Klärungsarbeit zum Konstrukt der Formalbeleidigung. Durch die Einstufung des “Sachverhalts” als Formalbeleidigung seitens der Staatsanwaltschaft, wird die Tür für rechte Gedanken offengehalten, da jede Person, egal wie tief sie in nationalsozialistische Ideologie oder Handlungen verstrickt sein mag, sich durch die Bezeichnung Nazi, rechtlich geschützt, beleidigt fühlen kann. Wie absurd und vor allem gefährlich diese Einstufung ist, zeigt sich daran, dass sich dann auch sämtliche Nazi-Größen (ob Goebbels, Himmler, Bormann oder Hitler selber) auf dieses Konstrukt hätten berufen können.
Es spricht Bände, wenn nach der Auffassung der Verdener StA, ein Nazi nicht mehr Nazi genannt werden darf und somit eine schleichende (in diesem Fall eher galoppierende) Normalisierung von Rechtsradikalismus stattfindet. Dieses Verhalten steht stellvertretend für das deutsche Phänomen der bürokratisierten Verantwortungsdelegierung (“Wir sind nicht das Verwaltungsgericht und klären somit auch keine politischen Fragen”), dem Staatsdienerkorpsgeist, sich feige vor der notwendigen Korrektur eines rechten (Fehl)tritts zu drücken (fehlende Bereitschaft des Oberstaatsanwalts, sich vom Anklagerahmen der Formalbeleidigung zu distanzieren: “Ich will mich nicht dazu äußern”.) und der strukturellen Blindheit auf dem rechten Auge.
Als erste Zeugin wurde Frau Magnitz sehr ausführlich vernommen. Dabei verstrickte sie sich wiederholt in Erinnerungslücken, Widersprüchlichkeiten und Vermutungen. Diese waren so eklatant, dass selbst Gericht und Staatsanwaltschaft sie nicht ignorieren konnten (auch wenn die StA den einen oder anderen wackeligen Versuch unternahm, die “emotionale Angespanntheit” der Zeugin als Ausrede zu instrumentalisieren). Die finale Selbstzerstörung ihrer Glaubwürdigkeit mündete in der Aussage, dass sie nicht wisse, ob ihr Mann den Vorsitz der Bremer AfD noch inne habe oder nicht. Besonders amüsant liest sich dies, wenn, wie sich im weiteren Verlauf des Prozesses herausstellte, sie selber Mitglied in der AfD ist.
Die Vernehmung von Frank Magnitz brachte wenig Überraschendes. Er habe viel nicht mit bekommen etc etc. Er bestätigte ansonsten die Lüge, die letztlich zur Anklage des Antifaschisten geführt hat. Allerdings, und hier sah sich das Gericht auch zu keiner weiteren Nachfrage veranlasst, sagte Magnitz aus, der Angeklagte habe gesagt: “Mit Nazis würde er sich nicht unterhalten. In ähnlicher Form.” Dieses nicht sonderlich gut versteckte “in ähnlicher Form” wurde gänzlich ignoriert.
Ansonsten wurde der Versuch der Verteidigung, einen größeren politischen Rahmen aufzumachen, um die Verwebungen von Magnitz und anderen rechten Akteuren (wie Björn Höcke) aufzuzeigen, systematisch von Gericht und Magnitz selber unterbunden. Magnitz ging hier sogar so weit, die Frage aufzuwerfen, “ob man überhaupt Mitglied im Flügel sein kann”.
Ansonsten blieb als kleine Aufheiterung nur der Treppenwitz hängen, dass Magnitz sich “eher nicht” als Kommunist bezeichnen würde. Danke der Klarstellung, du rassistisches A….. (hoppla, das wäre wohl eine Formalbeleidigung).
Eine dritte Zeugin (unbeteiligte dritte Person) konnte inhaltlich nichts groß beisteuern, außer, dass sie nie das Wort Nazi in der Auseinandersetzung gehört habe. Wie auch immer, im Abschlussplädoyer sah die StA den anfänglichen Tatbestand der Beleidigung in beiden Fällen nicht mehr gegeben und musste aufgrund dessen für Freispruch argumentieren. Ansonsten wurde noch breites Verständnis für das Handeln der Magnitzens bekundet. Was hingegen spannend war (und hier folgte der Richter später der gleichen Argumentation), dass innerhalb einer politischen Diskussion, wie zwischen Magnitz und dem angeklagten Antifaschisten, die Aussage “mit Nazis diskutiere ich nicht”, nicht als Beleidigung gelten kann.
Der erneute Verweis der Verteidigung in ihrem Abschlussplädoyer auf die gefährlichen Implikationen der Anklage durch die StA Verden, perlte wie Regen auf einer Glasscheibe von den Angesprochenen ab. Nicht verwunderlich, trotzdem traurig.
Der Richter wurde in seinem Schlusswort nicht müde zu betonen, dass dies eine Einzelfallentscheidung war und er mit keinem Wort und mit diesem Urteil gesagt habe, dass man Herrn Magnitz Nazi nennen dürfe …
Auch wenn das Urteil oberflächlich im Sinne des Angeklagten ausgefallen ist, bleibt ein bitterer Beigeschmack. Denn in der Begründung des Richters blieb bestehen, dass er überzeugt sei, “dass mindestens die Äußerung Nazi gefallen ist” und er somit ganz klar der Person Magnitz ein Vertrauensübergewicht zuspricht. Und dies ist gerade umso bezeichnender, als dass der angeklagte Genosse in der Prozesserklärung mehr als deutlich gemacht hat, dass Magnitz für ihn kein Nazi sei. Das heißt, er wurde eben nicht freigesprochen aufgrund dessen, dass ihm geglaubt wurde, sondern nur, weil das Gericht und die StA der Auffassung waren, dass ein “ich diskutiere nicht mit Nazis” in einer politischen Diskussion nicht strafbar ist.
In diesem Sinne, no justice, no peace.