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Helme, Steine, Mollis: Vor 40 Jahren in Bremen erfanden sich »die Autonomen«.
Als es vorbei ist, gibt es Redebedarf – auch in den linksradikalen Postillen. Dabei geht es weniger um die Frage, ob, sondern wie man Pflastersteine werfen solle – und welche weiteren Geschosse einzusetzen seien. So schreibt eine »Anarchafeministin« im Sponti-Blatt »bug-info«, sie habe natürlich »kräftig Steine geworfen«, aber taktisch: »nie gezielt auf Bullen (…) sondern immer nur in deren Richtung, um sie abzuschrecken, zurückzuhalten, und um zu verhindern, daß sie uns vom Stadion weg drängen (prügeln)«. Erschreckt habe sie indes ein »Molli«, der »gegens Gitter flog und einige Bullen, wenn auch nur kurz, brannten. Da wars bei mir aus«. Ein anderer Anonymus hingegen fand die Sache rundheraus gelungen – »toll, daß die Bullen relativ hilflos waren und daß durch die brennenden Autos und das Chaos auf dem Osterdeich nur so wenig Leute ins Weser-Stadion konnten«. Ein »Heiner aus Frankfurt« bekräftigt, es habe »nie einen besseren Anlass zum Putz« gegeben. Und die Literaturwissenschaftlerin Helga Grubitzsch, die nach der Demo von der Polizei verprügelt worden war, folgert aus dem Erlebnis, »daß ich mir einen Sturzhelm kaufe und nicht, daß ich nicht mehr auf Demos gehe«.
Anlass dieser pragmatischen Reflexionen über Steine, Mollis und Helme ist das 25. Jubiläum der NATO, das am 6. Mai 1980 im Bremer Weserstadion mit einem feierlichen Gelöbnis von 1200 Soldaten der 32. Panzergrenadierbrigade Schwanewede gefeiert werden soll. Ausgerechnet Bremen. Die Stadt weist nicht nur eine lange linke Tradition auf – bereits 1905 entstanden die »Bremer Linksradikalen«, die bei der KPD-Gründung eine Rolle spielen -, sondern hat 1980 rund um die als »Rote Kaderschmiede« verschriene Reformuni eine starke, gut verankerte linksradikale Szene. So macht auch die lokale ARD-Anstalt ihrem Ruf als »Rotfunk« in diesen Tagen Ehre: Zwar überträgt Radio Bremen im zweiten Programm die Zeremonie. Doch begleitet im dritten Programm der »Popkarton« die Proteste mit großer Sympathie. Schon die Anmoderation stellt eine Assoziation zum Faschismus her – »zwei Tage vor dem 8. Mai, dem Tag der deutschen Kapitulation, der übrigens genau 35 Jahre zurückliegt« – und spielt auf die Nazivergangenheit des Ehrengastes an: Bundespräsident Karl Carstens.
Schlagstöcke, Rauchschwaden
So werden nicht nur das Staatsoberhaupt und Verteidigungsminister Hans Apel (SPD) erwartet, sondern auch massive Proteste. Die NATO gilt damals der gesamten außerinstitutionellen Linken als imperialistisches Kriegsbündnis – und demonstrative Militärzeremonien mit Pomp, Musik und Fackeln wirken 1980 noch anachronistischer als vielleicht heute. So wird für den frühen Abend dieses 6. Mai zu zwei Demos mobilisiert, die sich vor dem Stadion treffen sollen – getragen einerseits von einem Spektrum um Jusos und Christen und andererseits von einem Bündnis um den Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) und die Bremer Bürgerinitiative gegen Atomanlagen (BBA). Am Vorabend gibt es zudem ein Treffen von 100 Personen, bei dem ein Flugblatt mit dem Bild eines Molotowcocktails kursiert. Unterzeichnet mit »Graf Molotowski Vondelstraat« stellt es eine Verbindung zu Hausbesetzerkrawallen her, die kurz zuvor in Amsterdam die Krönungsmesse von Prinzessin Beatrix begleitet haben.
Tags drauf übertrifft nicht nur die Teilnehmerzahl an den Demos – rund 10 000 – die Erwartungen. Sondern auch der Grad an Militanz. Schon um 18.15 Uhr, nach einer Viertelstunde, wird ein Bundeswehrbus umgeworfen und angezündet; fünf weitere folgen in den nächsten Stunden. Auch mit zwei Wasserwerfern ist der Platz nicht mehr zu räumen. Die Sicherheitskräfte haben Mühe, »ihre Position zu halten«, erinnert sich der damals junge Polizeibeamte Holger Münch. Um 18.38 Uhr, so später der Feldjägerkommandeur Oberst Diez vor einem Untersuchungsausschuss, stürmen Demonstranten Tor 6 des Stadions: »Eindringende (…) werden durch die 3. Kompanie des Bataillons unter Einsatz des Schlagstocks zurückgeworfen.« Wenige Minuten später kann laut Polizeipräsident Ernst Dieckmann ein weiteres Tor nur »gegen heftigen Widerstand gehalten werden«. Während der Zeremonie ziehen Rauchschwaden brennender Bundeswehrbusse über das Stadion. Um 20.31 Uhr ist schon wieder ein Tor gestürmt. In der Nord-West-Kurve machen sich über hundert »Störer« bemerkbar. Um 21.06 wird jene Tribüne mit Stockhieben geräumt, um 21.21 Uhr ist alles vorbei.
Das später oft inflationäre Gerede von einer »neuen Qualität der Gewalt« trifft auf diesen Abend in Bremen zu. Seitens der Polizei, die im Anschluss wahllos Leute verprügelt – aber eben auch seitens der Militanten. Und derartige Riots liegen damals in der Luft. 1980 kommt es von Amsterdam und Zürich bis London und Berlin zu massiven Straßenschlachten – wobei zumindest anfangs die Polizei auch mal den Kürzeren zieht. Den spektakulären, bis in den Bonner Bundestags diskutierten Auftakt aber setzt, zumindest für Deutschland, jener 6. Mai 1980 in Bremen.
Für die Akteure wird bald ein Name gefunden. So sieht der damalige SPD-Innenpolitiker Wilfried Penner »autonome Gruppen mit anarchistischer Zielsetzung« hinter dem Krawall vom Weserstadion. Das Label »Autonome« macht rasch Karriere, als Fremd- wie Eigenbezeichnung einer schnell wachsenden Zahl meist großstädtischer linksradikaler Gruppierungen eines neuen Typs: 1983 zählt der »Spiegel«, der die Entwicklung mit Schauerlust begleitet, 700 »Autonome Gruppen« in der Republik.
Ästhetik des Unbedingten
Nicht leicht zu sagen, wer oder was nun diese Autonomen, von denen bis heute noch die erschreckte Rede ist, in der linken Geschichte sind. Denn erstens bleibt gerade das Diffuse und Informelle für sie wesentlich. Zweitens unterliegen sie einer hohen Durchlaufgeschwindigkeit – eine autonome Generation dauert eher fünf als zehn Jahre. Und drittens hat der Versuch, sich ihnen »inhaltlich« zu nähern – also durch Programmlektüre – seine Tücken, obwohl sie massenhaft »Flugis« produzieren: Ihre Praxis ist volatil und kampagnenförmig – heute geht es um den Kiez, morgen um den IWF. Das Autonome ist weniger Position als Haltung.
Was aber ihr Verhältnis zum seinerzeit noch nahen Kristallisationspunkt »1968« betrifft, liegt der damalige »Zeit«-Redakteur Michael Naumann nicht weit daneben, als er kurz nach Bremen eine Grusel-Hommage an die neuen »Action-Spontis« schreibt. Die Autonomen setzen sich von den inzwischen arrivierten »68ern« polemisch ab, übernehmen aber etliche politische Formen.
Am nächsten stehen sie tatsächlich den Spontis. Von ihnen haben sie die Abneigung gegen fest gefügte Organisationen – ob K-Gruppen oder die entstehenden Grünen. Wie die Spontis leben sie in subkulturellen Gemeinschaften, die sich eher punktuell zu politischen Einheiten verdichten. In den frühen 1980er Jahren verbindet sich das aber mit einem neuen, existenziellen Ernst. Dieser drückt sich auch im Konflikt mit der Staatsgewalt aus: Obwohl ihr Innenleben weniger »hart« ist, als es im Nachhinein scheinen mag (im Gegenteil entsteht eine breite Reflexionskultur von der permanenten »Selbstverständnisdiskussion« über gruppendynamische »Kuschelplena« bis zur »FrauenLesben-« bzw. Männergruppe), ist Straßenmilitanz ein Kern des Autonomen: als praktische, verbindende Erfahrung wie als ästhetische Geste der Nicht-Integration. Diese Gestik der »Härte«, des Unbedingten liegt schon im Soundtrack der Bewegung: Wie Punk eine radikale und expressive Reduktion jener Rockmusik darstellt, die noch die Spontis prägt, so spitzen die Autonomen deren Praxis zu.
Was die Autonomen am deutlichsten von »68« sowie großen Teilen der Gegenwartslinken unterscheidet, ist indes der Stellenwert der Seminare. Zwar zeugen – teils bis heute – »autonome Referate« vom Versuch, AStA-Strukturen zu nutzen. Doch sind die Autonomen nie eine akademische Bewegung. Für »Aufklärung« durch kritische Wissenschaft sind sie viel zu ungeduldig; Ungeduld ist der Kern der autonomen Haltung. Von der Uni wollen sie, wenn sie denn Abi haben, oft nicht mehr als den Studierendenstatus, den sie zum Jobben brauchen. So setzen sie sich auch weniger im öffentlichen Bewusstsein fest als frühere und spätere linke Formationen: Niemand spricht analog zu den »68ern« von den »80ern«, dabei war letztere Bewegung nicht kleiner.
Doch hinterlassen die Autonomen nicht nur in der linken Kultur tiefe, wenn auch oft unerkannte Spuren: etwa in Gestalt des Veganismus, den sie in den späteren 1980ern wiederbeleben. Oder durch die oft militante »Rettung« von heute gentrifizierten Stadtvierteln vor der damals grassierenden Auto-und-Beton-Stadtplanung. Auch in der linken Theorie sind sie undercover noch immer präsent: So ist zwar der autonome Feminismus überwiegend noch der »Zweiten Welle« und dem differenzfeministischen Paradigma zuzurechnen. Doch hat jener Denkstil, der heute als »Intersectional Studies« an Hochschulen reüssiert, einen autonomen Vorläufer: Die systematische Kritik von Sexismus, Rassismus und Klassenunterdrückung heißt damals »Triple Oppression« – und man will dieselbe in autonomer Ungeduld nicht theoretisch durchschauen, sondern praktisch zerschlagen. Auch das für den heutigen Postkolonialismus prägende Credo der »Positionalität« kennen sie schon: die viel beschworene »Politik in der ersten Person«, das Befreiungshandeln »aus dem Bauch heraus«.
So läuft das Fazit dieses Jubiläumstextes zum folgenreichen Feuerzauber am Weserstadion auf die Frage hinaus, ob die Autonomen eigentlich »Geschichte sind«. Oder ob sie sich, indem sie sich so schlecht fixieren lassen, der Historisierung letztlich entziehen. Den damaligen Protagonisten würde letzteres sehr schmeicheln. Denn wie sagte man hernach so schön in Bremen? »Der 6. Mai geht nie vorbei!«
Quelle: neues-deutschland.de
siehe auch
endofroad 2010: 30 Jahre 6. Mai – Aber was passierte damals überhaupt?
taz: 40 Jahre Bremer Gelöbnisfeier