kopiert aus der Kreiszeitung
Die Stadt Bremen will an der Reitbrake eine Bahnwerkstatt errichten. Das Problem: Dort befindet sich noch ein Zwangsarbeiterfriedhof. Anwohner protestieren.
Sie sind die Vergessenen unter den Vergessenen. Die Überreste von mindestens 280 Zwangsarbeitern sollen in Bremen auf dem Grundstück an der Reitbrake liegen. Genau dort soll sich unter der Erde ein russischer Zwangsarbeiterfriedhof befinden.
Doch auf dem Gelände soll eine Bahnwerkstatt errichtet werden. Die Stadt kämpft dafür. Den Zuschlag für den Bau bis 2024 hat Zughersteller Alstom bereits erhalten. Anwohner, Mitglieder der Bürgerinitiative Oslebshausen (BI) und umzu sowie des Bremer Friedensforums zeigen sich entsetzt.
Tag der Befreiung: Ignoriert Bremen seine Verantwortung bei der Erinnerungskultur?
Bei dem Thema Reitbrake und dem Begriff Erinnerungskultur scheiden sich seit längerem die Geister. Gerade anlässlich des Tags der Befreiung und somit dem 76. Jahrestag der deutschen Kapitulation am Samstag, 8. Mai 2021, fordern BI und Friedensforum „eine wahrhaftige, schonungslose, präzise und transparente Aufarbeitung der Geschichte des Gräberfelds sowjetischer Naziopfer, des sogenannten ,Russenfriedhofs‘ und der hier bestatteten Menschen“. Dieser Ort sei eine Kriegsgräberstätte nach internationalen Abkommen. Hier soll nun eine würdige Gedenkstätte errichtet werden, heißt es in einer Pressemitteilung.
BI und Friedensforum sind der Meinung, dass sich eine von der Hafenbehörde angestrebte „In-Wert-Setzung des Grundstücks“ verbietet. Gerade von dem Hintergrund der Geschichte des Grundstücks, das sich im Eigentum der Stadt Bremen befindet.
Russenfriedhof in Bremen: „Zeit der Vertuschungen von Kriegsverbrechen muss eine Ende haben“
„Die Zeit der Vertuschungen von Kriegsverbrechen muss ein Ende haben und es muss Raum für ein angemessenes Gedenken gerade an dieser Stelle, wo die unzähligen Verbrechen verübt wurden, geben. Die Bahnwerkstatt ist an einem alternativen Standort in Bremen, beispielsweise an der Oldenburger Kurve, zu errichten“, erklären Dieter Winge, Sprecher der Bürgerinitiative, und Ekkehard Lentz, Sprecher des Bremer Friedensforum. Dafür liegt sogar eine Machbarkeitsstudie vor.
Zur Monstrosität der NS-Verbrechen gehörten auch die Millionen nicht-jüdischen Menschen, die der perfiden Vernichtungspolitik der Nazis zum Opfer gefallen seien. „Entsprechend der Rassen- und Lebensraumideologie wurden die Bürgerinnen und Bürger der Sowjetunion als ,minderwertige Slawen‘ und als ,Untermenschen‘ zu Rechtlosen erklärt, gedemütigt, versklavt und getötet.
Zwangsarbeiterstätte in Bremen: Tote Bürger bleiben auch in der Nachkriegszeit Opfer zweiter Klasse
Doch auch in der Nachkriegszeit blieben die verstorbenen sowjetischen Bürger Opfer zweiter Klasse. Wie aktuelle Recherchen von Professor Konrad Elmshäuser, Leiter des Staatsarchiv Bremen, ergeben haben, wurden im Mai 1946 alle Gräber von Angehörigen der Vereinten Nationen durch die Bremer Polizei auf alliierte Anweisung hin inspiziert und erfasst.
Vermutlich bereits kurz nach der Inspektion wurde der Friedhof, wahrscheinlich auf Veranlassung der Hafenbehörde, mit Sand überspült. Eine noch 1947 im Senat beschlossene Einrichtung eines Ehrenfriedhofs unterblieb aus bislang ungeklärten Gründen. Stattdessen wurden eine Exhumierung und Umbettung der Toten zum Osterholzer Friedhof 1948 vorgenommen. Aufgrund der Überspülung konnten die Gräber kaum wiedergefunden, und nicht alle Toten geborgen werden.
Bahnwerkstatt Reitbake: Letzte Ruhestätte für 280 sowjetische NS-Opfer – Aufarbeitung bewusst vertuscht?
Aktuell ist laut Staatsarchiv mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass 280 sowjetische NS-Opfer weiterhin in der Erde der Reitbrake liegen und dort ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.
Dieser Umstand wurde hiernach offenbar vertuscht. Professor Elmshäuser beklagt die dünne Quellenlage. Zu erwartende Quellen sind nicht auffindbar. Offenbar wurde die Aufklärung des Sachverhalts über Jahrzehnte unterdrückt. Noch 1992 hat die Stadt Bremen bei den Planungen für ein Sondermüll-Zwischenlager trotz begründeter Hinweise keine ernsthafte Untersuchung veranlasst.
Bremen darf sich nicht aus Verantwortung stehlen – Nazi-Stadtgeschichte verantwortungsvoll aufarbeiten
„Die Stadt Bremen muss achtzig Jahre nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 endlich diesen Teil der Stadtgeschichte transparent und verantwortungsvoll aufarbeiten und einen Weg für ein angemessenes Gedenken an diesem durch schreckliche Kriegsverbrechen belasteten Ort finden“, fordern BI und Friedensforum.
Auch die Politik ist sich nicht einig. Die Linken sprechen sich gegen den Standort Oslebshausen aus. Ebenso der Gröpelinger SPD-Beirat, der sich damit sogar gegen die eigene Bürgerschaftsfraktion stellt.
Vor dem Bau will die Landesarchäologie das Gelände untersuchen lassen. Die Leiterin der Behörde, Uta Halle, ist sich sicher: «Wir können als Landesarchäologie nicht so tun, als wüssten wir nichts.»
Quelle: kreiszeitung.de