„Die Enteignung der Hausbesitzer*innen liegt auf dem Weg zur Sozialen Revolution“ – Kritik an Kampagne: Deutsche Wohnen kaufen

Im Folgenden teilen wir einen Redebeitrag, der auf dem Anachistischen CSD in Berlin gehalten wurde. Der Text kritisiert die Kampagne „Deutsche Wohnen Enteignen“, diese ist zwar ein Berliner Phänomen, wir denken jedoch, dass der Text einige sehr interessante Fragen bezüglich reformistischer und parlamentarischer Hoffnung im Kampf um günstigen Wohnraum aufmacht. Viel Spaß beim Lesen

In Auszügen gehalten in der Karl-Marx-Allee.

Ursprünglich veröffentlicht auf Kontrapolis.

„Die Enteignung der Hausbesitzer*innen liegt auf dem Weg zur Sozialen Revolution“
Parole vom Tuntenhaus der Mainzertsraße 1990

Matrosenaufstand in Kronstadt, „Deutsche Wohnen enteignen, Karl Marx und Stalin… Wie passt denn das zusammen?:

„Hier stehen wir nun und können nicht anders. Die Bullen haben uns auf die Karl Marx Allee verschoben damit wir nicht mit den anderen CSD-Zügen in Berührung kommen. Inhaltlich ist das eine schöne Steilvorlage für den nächsten Beitrag.

Bekanntlich war das ja mal die Stalinallee.
Der Doktrin des Diktators Stalins widersetzen sich die Kommunist*innen zu Lebzeiten kaum bis gar nicht. Das hatte gute Gründe. Wer nicht spurte und sich nicht widerspruchslos als Parteisoldat*in in die Machtpolitik der Partei einfügte, wurde kurzerhand eliminiert. Manchen ereilte noch die „Gnade“ von Schauprozessen, wo sie ihren Fehlern abschwören durften, bevor die Hinrichtung kam.

Die Komintern mit ihren Bespitzelungen der verschiedenen Strömungen innerhalb der Kommunist*innen war das internationale Werkzeug dieser Politik. Während des deutschen Faschismus wurden die nicht auf Linie befindlichen Parteisoldaten nach Moskau zitiert und verschwanden. Das Scheitern der Revolution in Spanien ist ebenfalls auch in Teilen der Politik Stalins zu anzulasten. Lieber sollte eine Revolution scheitern, als das sich ein anarchistisches Modell als Alternative zum Staatskommunismus und dem Faschismus durchsetzen könnte. Zum Faschismus sollte es nur eine Alternative geben; das sowjetische Modell.
Stalin war nur die konsequente Folge aus der Politik Lenins und Trotzkis, die bekanntlich die Matrosen in Kronstadt niedermetzelten, weil diese es gewagt hatten, die russische Revolution zu verteidigen. Statt der zentralen Steuerung durch die Bolschewiki wollten sie die Räte erhalten und wiederherstellen. Statt Bevormundung durch Doktrinen und Kadavergehorsam, ausgeübt von Funktionären, wollten sie die freie Sprache, die Auseinandersetzung und soziale Lösungen. Doch auch Lenin war nur die Konsequenz aus einer Analyse der Verhältnisse, die keinen Widerspruch duldete. Lenin brachte dies in vielerlei Hinsicht immer wieder vor. Zu den Anarchist*innen hatte er ebenfalls ein klares Verhältnis: „ In der ersten Phase der Revolution sind die Anarchisten nützlich, ja von unschätzbaren Wert. Wenn sie aber in der zweiten Phase die revolutionäre Staatsmacht nicht respektieren, müssen sie als Konterrevolutionäre betrachtet werden.“ so Lenin ( Augustin Souchy in Politische Erinnerungen) .

Es war Marx, der die Grundsteine legte für den autoritären Kurs, der zur Zerschlagung des Aufstandes von Kronstadt führte. Mit seinem von ihm betriebenen Ausschluss der Anarchistinnen aus der zweiten Internationalen zerbrach ein Bündnis, das bis dato noch international gemeinsam um Befreiung von der Unterdrückung des Menschen durch den Menschen rang.
So alt ist der Widerspruch, der sich zwischen Anarchist*innen und Kommunist*innen entwickelt hat. Anarchist*innen lehnten grundsätzlich die Verwaltung der Gesellschaft durch einen Staat ab, die Kommunisten bauten gerade zu darauf auf – wenn denn sie an der Spitze sitzen und lenken. Anarchisten lehnen auch Eigentum als Anmaßung ab. Alles wird allen gehören können und von allen verwaltet, denn eine Verstaatlichung von Eigentum bleibt Eigentum in den Händen einer Elite, von einer Clique von Funktionären und Bürokraten. Eine Verstaatlichung von Eigentum hat aus einer anarchistischen Sicht mit einer befreiten Gesellschaft nichts zu tun.

Soweit die Einleitung zu dieser Straße. Schauen wir ins Heute:

Es gibt derzeit eine Initiative, die uns das Kaufen von dem Konzern „Deutsche Wohnen“ als Enteignungskampagne verkaufen will. Und weil es so schön ist, wird diese Kampagne als eine Vergesellschaftung ausgegeben. Das mag eine als unterhaltsamen Werbegag betrachten um die Kampagne besser verkaufen zu können, hat aber mit der Realität nichts zu tun. Die Worte werden ihres Sinnes beraubt, die Sprengkraft dieser Worte werden benutzt, um der außerparlamentarischen Bewegung Sand in die Augen zu streuen. Es ist eine profane Unterschriftenliste, deren Petitionscharakter an den Senat gerichtet ist. Ein Senat, der unter RGR so viele Projekte geräumt hat wie schon lange nicht. Dazu brauchen wir gar nicht die CDU, die FDP oder gar die AfD.
Schauen wir kurz auf die sogenannten bisher vergesellschaftenen Wohnungsbauunternehmen wie „Stadt und Land“? Von gut 1,6 Millionen Mietwohnungen gehören knapp ein Fünftel (!) landeseigenen Vermietern. Mit böser Zunge gesprochen; sie sind also bereits „vergesellschaftet“. Lassen sie etwa von einer unsozialen Wohnungspolitik ab? Nicht die Bohne: denn sie sind zu Rendite verpflichtet. Und zur Zwangsräumung. „Stadt und Land“ baut z.B. für 10-12 Euro den Quadratmeter.

Das Eigentum in Hand des Staates ist nicht im Besitz einer sozialen revolutionären Kraft, sondern korrumpierter Politiker*innen mit ihren Sachzwängen gegenüber Kapital, Tourismusindustrie und Bauwirtschaft. Die Bullen putzen auf Befehl die Ecken aus. Und Andreas Geisel, der oberste Befehlshaber der Bullen, sorgt für den richtigen Zungenschlag. Soweit so schlecht.

Und nun gab es folgendes Ereignis. Auf einer anarchistischen Kundgebung zu Kronstadt lief ein Unterschriftensammler umher, mit der bekannten gelblila-farbenen Werbeweste und reagierte arrogant auf die Kritik an seiner Form der Präsenz auf der Kundgebung. Er weigerte sich, seine Weste vielleicht mal abzunehmen, weil einige Menschen fanden die Bewerbung der Kampagne auf der Kundgebung deplaziert Sie forderten sie ihn auf die Werbejacke auszuziehen. Als er sich weigerte wurde dieser Umstand an die Moderation herangetragen, mit der Bitte dazu etwas zu sagen. Daraufhin wurde nun darum gebeten, auf der Kundgebung keine Unterschriften zu sammeln für eine Kampagne, die Null mit „sozialer Revolution“ zu tun hat. Der Unterschriftensammler von der „Interventionalistischen Linken“ zog dann ab. Ihm wurde nicht die Teilnahme an der Kundgebung untersagt, sondern er wurde aufgefordert das Sammeln sein zu lassen

Nun erhebt aber die Gruppe „Perspektive Selbstverwaltung (PS)“ im Nachhinein Widerspruch. Damit ist endlich eine Kontroverse eröffnet, der sich bisher innerhalb der Kampagne und dem Umfeld zum Kauf von Deutsche Wohnen verweigert wurde. Und das ist doch erfreulich. Die inhaltlichen Begründungen von PS sind allerdings sehr dürftig: Zitat sinngemäß: „Wenn wir nicht mal schaffen uns mit anderen Linksradikalen und Inis zu verständigen, welche Aussicht besteht dann“ Andere „von der befreiten Gesellschaft zu überzeugen.“ Die Kampagne und deren Macher*innen als Linksradikale auszugeben ist angesichts einer staatskonformen Kampagne, die alles macht, nur nicht wagt, die Eigentumsfrage zu stellen, schon gewagt. Aber vielleicht sind diejenigen, die sich da linksradikal nennen, dies nur noch dem Wort nach. Dann wäre eine solche Bezeichnung ja verständlich, wird doch heute innerhalb der weiß-heterosexuell-dominierten Linken ständig Radikalität vorgetäuscht, wo keine ist.

Die spannendere Frage bleibt doch eher, ob es vielleicht in der Verantwortung von uns als Anarchist*innen liegt, die Diskussionen mit den Teilen der Gesellschaft, jenseits solcher pseudoradikalen staatskonformen Positionen zu suchen, die diese Verarsche merken.

Und die radikale Linke? Da wird es richtig grotesk, wenn z.B. der Stressfaktor zu einer Sammelaktion aufruft, um die Kampagne finanziell abzusichern, die mehr als 30.000 Euro verheizt. Geld das dem radikalen Widerstand und entsprechenden Projekten in der Stadt fehlt. Oder wenn z.B. einen Tag vor der Brandschutzbegehung der Geisel-Truppen, Menschen Unterschriften für die Kampagne vor der Rigaerstrasse 94 sammeln. Oder wenn z.B. eine FAUler*in mit leuchtenden Augen bei einem Punkkonzert zugunsten des Köpiwagenplatzes Unterschriften sammelnd und diese als Weg zur sozialen Revolution ausgibt. Leute, was ist bloß los?

Und die „Perspektive Selbstverwaltung“? Sie distanziert sich sogar von dem „Rauswurf“ des Unterschriftensammlers (Der lediglich aufgefordert wurde auf einer anarchistischen Kundgebung gefälligst seine Werbeklamotten einzupacken und die Sammlung von Unterschriften dort einzustellen). Und PS weiter; das in der Tradition des Kronstädter Aufstandes doch sooo diverse Menschen zusammen gekämpft hätten, Anarchist*innen Sozialrevolutionäre, Kommunist*innen und und und…Ja und? Wofür? Doch nicht für eine Verstaatlichung von Eigentum, sondern das genaue Gegenteil. Und gegen wen haben die gekämpft? Da wird sich ausgeschwiegen. Die haben halt gekämpft.
Um mal die Gleichmacherei und Geschichtklitterung durch PS anzusprechen:
Die Kronstädter Matrosen haben gegen jene Kommunist*innen gekämpft die zielorientiert, taktisch und machtstrategisch Bevormundungsstrukturen in den Fabriken etablierten und gleichzeitig Selbstorganisierung zerschlugen, die Bäuer*innen beraubten, die einen bürokratischen Apparat und Geheimdienst aufgebauten, die einen Staatssozialismus propagiert haben, dessen marxistisch-leninistische Doktrin keine Widersprüche zuließ, deren politischen Schulung Kadavergehorsam heranzüchtete. Das Eigentum an Land und Produktionsmittel wurde in die Hände der Partei gelegt. Blutig und ohne Widerspruch. Das war das Werk von Kommunisten, genauer gesagt: Der Bolschewiki.

Es besteht also Diskussionsbedarf über das politische Erbe des Kronstädter Aufstandes und aktueller Kämpfe gegen den Angriff der Reichen auf Arme. Wenn wir über soziale Revolution reden, dann nicht im Zusammenhang mit „Deutsche Wohnen kaufen“.

Wenn wir heute diesen Widerspruch aufmachen zwischen einer neoliberalen Linken, die sich links kleidet und staatstragende Politik betreibt…
Wenn wir heute einen Widerspruch aufmachen zwischen Enteignen und Verstaatlichen…
Wenn wir heute einen Widerspruch aufmachen zwischen Bevormundung und Manipulation durch „Bewegungsmangern“ einerseits und Vergesellschaftung und kollektiven Besitzverhältnissen im anarchistischen Sinne andererseits – dann weil wir Anarchist*innen sind! Und uns nicht nur so nennen wollen.
Dann weil wir den Begriff „Enteignen“ als politischen und militanten Begriff gegen die Besitzenden, gegen die Reichen anzuwenden gedenken. Und auch gegen jene Linken, die längst ihren Frieden mit dem Staat geschlossen haben und uns Unterschriftenlisten vorsetzen. Schön, wenn es auch mal zu Konsequenzen kommt, wenn eine staatstragende Linke einfach ihren Stiefel nicht unwidersprochen durchziehen kann. Demgegenüber ist die Ablehnung einer sozialdemokratischen Unterschriftensammlung auf einer anarchistischen Kundgebung geradezu niedlich. Und darüber wird sich schon aufgeregt? Das wirft eher ein entlarvendes Bild auf die Haltung und das politische Bewusstsein jener, die sich darüber ärgern, als über die Entscheidung auf der Anarchistischen Kronstadt Kundgebung.

Es ist richtig, das auf einer anarchistischen Demonstration keine Nationalfahnen und Parteien etwas zu suchen haben. Das gilt auch für Kampagnen die sozialdemokratisch aufgestellt sind und Bewegungen versuchen zu instrumentalisieren und in die politische Irre führen – aus Eigennutz, aus machtpolitischen Gründen, aus taktischem Kalkül. Die Kampagne wird politisch krachend scheitern auch wenn die erste Runde der Unterschriften zustande gekommen ist. Die Bewegungsmanager sind schon in den Startlöchern um ihre Vorteile aus der Kampagne zu ziehen und uns auch deren Scheitern als Sieg zu verkaufen. Einer dieser Anführer hat bereits eine Stelle in der „Rosa Luxemburgstiftung“ für zwei Jahre um das bezahlt das fortzuführen, was wir nicht müde werden zu kritisieren.

Wir meine es ernst mit der „Sozialen Revolution“, wir meinen es ernst dass eine Anarchistische Bewegung sich in allen sozialen Fragen einmischen muss und militante Positionen beziehen sollte. Und dass wir Anarchist*innen gut daran tun, unsere Blase mal endlich zu verlassen und sich mit anderen Kämpfen zu verbinden. Das ist eine Frage der politischen Radikalität und eines sozialrevolutionären Ansatzes. Diese Einmischung in soziale Fragen, das Voranbringen sozialrevolutionärer Praxis und dies zu tun mit anderen Menschen zusammen, die sich von uns und unseren Ideen nicht betrogen fühlen – darum geht es uns. Und selbstverständlich die Eigentumsfrage in Konfrontation zu den Eigentumsverhältnissen zu bringen. Enteignen auf jeden Fall.

Letztes Jahr sind in dieser Stadt 18.000 Wohnungen umgewandelt worden in Eigentum. Das ist richtig viel. Der Angriff auf die Mieter*innenstadt ist nach wie vor in vollem Gange. Die privaten Hauseigentümer bilden noch vor den Konzernen, die größte Masse an Wohnungsbesitzende dieser Stadt ab. Der Anteil der großen Konzerne, die von der „Kampagne Deutsche Wohnen kaufen“ ins Visier genommen werden, macht für Berlin 14 % aus. Enteignen wir durch radikale Initiativen die den Namen verdienen.

Für die Enteignung aller Hausbesitzer im sozialen Kampf. Sabotage von Zwangsräumungen, Verteidigung der Rigaerstraße in allen Städten, Besetzung von Häusern und deren Verteidigung für Obdachlose! Massenmobiliserungen und Massenmilitanz kombinieren! Verhinderung jeder Verdrängung zum Nachteil der Reichen! Unterbrechen wir die Durchmischung der Kieze mit Hippstern und Bionadebourgoisie, die sich Eigentumswohnungen in unseren Kiezen kaufen! Mietstreiks organisieren, jede Umwandlung von Miete in Eigentum verhindern, besonders schlimme Hausverwaltungen blockieren, Besitzer von Häusern an ihrem Wohnort besuchen, Kaufinteressenten von Häusern angreifen und vor allem die Diskussion um Enteignen ohne kaufen auf den Weg bringen.

Thats it. Die Diskussion ist eröffnet. Es lebe die soziale Revolution. Für die Anarchie!

Kritik von Perspektive Selbstverwaltung:
https://perspektivesv.noblogs.org/post/2021/06/22/statement-dwe-kronstadt-kundgebung/

Die Kritik an Kampagne Deutsche Wohnen „enteignen“ findet Ihr u.a. hier:
http://mietenstopp.blogsport.de/2021/07/16/deutsche-wohnen-kaufen-oder-enteignen-eine-kritik/

Anarchistischer CSD Berlin 2021:
https://acsd.noblogs.org/

6 thoughts on “„Die Enteignung der Hausbesitzer*innen liegt auf dem Weg zur Sozialen Revolution“ – Kritik an Kampagne: Deutsche Wohnen kaufen

  1. Liebe*r Ungeduldige*r,

    Du hast recht, die BREBAU zeigt das es große Probleme im staatlich kontrollierten Wohnungsbau gibt. Alle wissen, dass die Wohnungsvergabe (auch) nach rassistischen Kriterien läuft, das ist nicht nur bei der BREBAU der Fall. Bei der BREBAU wird es skandalisierbar durch gute Recherche und weil man die Stadt als Eigentümerin direkt verantwortlich machen kann. Es gibt hier eine Debatte darüber, welche Aufgabe der städtische Wohnungsbau erfüllen soll. Bei Privaten Konzernen ist diese Debatte durch das Eigentumsgesetz versperrt.
    Der Staat ist kein monolithischer Block. Er besteht aus Abteilungen in denen unterschiedliche Fraktionen aktiv sind. Diese Fraktionen bilden gesellschaftliche Verhältnisse nicht ab, sie reagieren aber auf aktuelle Entwicklungen im Kräfteverhältnis, um eine reibungslose Kapitalverwertung zu garantieren. In einer vorrevolutionären Situation, müsste es eine Anzahl von Staatsbeamten geben, die Ihre Loyalität zum Staat aufgeben (Wie zum Beispiel die Polizei Barcelona 1936).

    Du hast recht, es ist ein Erfolg das die Räumung in der Rigaer Straße verhindert werden konnte. Mein Punkt war aber, dass die Linke in den letzten Jahrzehnten sehr viele Niederlagen einstecken musste. Das ist nicht spurlos an uns vorüber gegangen. Es ist vor dem Hintergrund dieser Serie von Niederlagen naheliegend davon auszugehen, das Selbstorganisation verlorene Zeit ist und Kämpfe zu Niederlagen führen. Die Leute die auf Solidarität und Soziale Revolution setzen, sind in der Gesellschaft so schwach wie seit 150 Jahren nicht. Dieser Tatsache müssen wir ins Auge sehen wenn wir etwas daran ändern wollen.
    Die versuche etwas daran zu ändern sehe ich als Suchbewegung. Alle von uns versuchen Formen zu finden die Erfolge ermöglichen. Keine*r hat ein Patentrezept gefunden. Der Volksentscheid in Berlin ist einer von vielen Versuchen. Es gibt in Berlin eine jüngere Geschichte von erfolgreichen Volksentscheiden, die den Senat vor die unbequeme Wahl stellen das Abstimmungsergebnis entweder zu übergehen, oder abstriche in der Inwertsetzung der Stadt zu machen (Tempelhof, Tegel, MediaSpreeVersenken/Spreeufer, Bethanien). Die Leute als Stimmvieh zu beleidigen (oder Sie aufzufordern ihre Weste auszuziehen) finde ich respektlos. Wenn Du eine Lösung für das Problem steigender Mieten hast immer her damit, ansonsten lass uns zusammen unterschiedliche Ansätze ausprobieren und schauen was funktioniert und was nicht.

  2. Bzgl. Kritik on: Interessanter Kommentar, nur, wie kommst du auf die Idee der Anarchismus sei als subkulturelle Jugendbewegung entstanden? Gab es überhaupt schon Subkulturen im heutigen Sinne als der Anarchismus enstanden ist? Was für ein Quatsch. Vielmehr wird, gerade im deutschsprachigen Raum, von einige alten Herren, daran gearbeitet die lebendige Geschichte des gewaltsamen revolutionären Anarchismus zu negieren. Glüchlicherweise verliert diese Erzählung immer mehr an Bedeutung.
    Wer sich überdies zu der These zu versteigt, im deutschsprachigen Raum gäbe es keinen rebellischen Anarchismus von einer gewissen Relevanz, muss in den letzten 10 Jahren auch eher geschlafen haben: G20, Hambi, Danni, Rigaer, die verbreitet Praxis der direkten Aktion, überall sind (auch) Anarchist*innen am Werk und haben Momente der Massenmilitanz erschaffen weil sie sich sehr erfolgreich auf populäre spezifische Kämpfe beziehen konnten. (Was ja erstmal kein Argument gegen die FAU sein muss.)

    Bzgl. Einer von Zwangsräumung Verhindern:
    zu Punkt 3.: Der Skandal um die rassistische Wohnraumvergabe bei der Brebau hier in Bremen hat doch mal wieder gezeigt, dass kommunale Verwaltung kein Garant für gerechtere oder bessere Wohnverhältnisse ist. Auch kann der Staat nicht als eine Struktur betrachtet werden, in der „die gesellschaftliche Debatte“ auf einmal die Gangart bestimmt. Ich denke überdies nicht, dass der kommentierte Text sich gegen spezifische Kämpfe ausspricht. Mit keinem Wort wird gesagt, nur die Revolution zählt. Es wird jedoch auf die Illusion einer Politik der Forderungen und der Verstaatlichung verwiesen. Und, lieber Einer, um dem Staat zu drohen, braucht es sicherlich mehr als eine staatlich vollständig legitimierten Volksentscheid. Bezieht sich die „Angst“ des Berliner Senats nicht viel eher auf die klammen Staatskassen, die den Rückkauf letztendlich werden finanzieren müssen? (ach ja, das Problem wir dann nach dem Volksentscheid gelöst)
    Es spricht überhaupt nichts dagegen neue Leute anzusprechen – wir sollten sie aber nicht zu Stimmvieh für eine aussichtslose Sache machen.

    PS.: Im übrigen ist in Berlin gerade sehr erfolgreich eine Besetzung verteidigt worden!

  3. Danke für deinen Kommentar. Die anarchistische Bewegung hat sich zu einer ausschließlich subkulturellen Jugendbewegung (verlängerte Jugend bis 30 Jahre im westlichen Kapitalismus) entwickelt mit dem Ziel, eigene subkulturelle Räume zu erhalten. Dgegen ist nichts zu sagen, nur ist es weder eine revolutionäre, noch eine emanzipatorische Politik, die im Blick hat die Menschen mitzunehmen und nicht nur jene, die so sind wie sie. Sozialrevolutonäre Politik ist das Gegenteil davon. Die anarchistischen Psitionen in diesem Land (mit Ausnahme u.a. der FAU) sind geprägt von einem Verbalradikalismus ohne Bezug auf gesellschaftliche Verhältnisse zu nehmen (fehlende Analyse). Sie hat die Struktur und das Denken einer neoliberalen Gesellschaft übernommen, in der die individuellen Entscheidungen einen höheren Stellenwert bekommen (bzw. Ausgangspunkt von allem sind) als das Gemeinwohl, also kollektive Entscheidungen (d.h. über den eigenen Tellerrand hinaus). Das widerspricht einer sozialrevolutionären Vorstellung im Ganzen. Glücklicherweise verlieren diese Positionen innerhalb der Linken immer mehr an Bedeutungslosigkeit und marginalisieren sich selber.

  4. 1) Die Spanische Revolution ist nicht wegen, sondern trotz der Unterstützung Moskaus gescheitert und zwar an der militärischen Übermacht der Konterrevolution. Bolsheviki und Anarchist*innen sind am selben Problem gescheitert, wenn auch auf unterschiedliche Art und Weise. Die CNT hat militärisch verloren, Die Bolsheviki haben militärisch gewonnen indem die erkämpften Räte durch eine Kommandostruktur ersetzt wurden, welche die „Räterepublik“ – das Ziel der Revolutution – in ihr Gegenteil verkehrt hat.

    2) Die Rede suggeriert eine schwarz weiß Trennung zwischen Anarchist*innen und Kommunist*innen die so nicht existiert. Sie unterschlägt, dass die Aufständischen von Kronstadt die Errungenschaften der bolshevistischen Revolution eingefordert haben. Sie unterschlägt, dass Stalin Kommunist*innen aller Länder an die Nazis ausgeliefert hat. Die spanischen Anarchistischen Gewerkschaften haben mit dem Rätekommunismus mehr gemein, als mit Anarcho Nihilisten, die auf der Suche nach der verbal radikalsten Position das Interesse an einer wirklichen Veränderung verloren haben.

    3) Mit der Kampagne Deutsche Wohnen enteignen gelingt es der Berliner Mieter*innenbewegung sehr viele Menschen anzusprechen. Der Volksentscheid kann möglicherweise gewonnen werden. Es stimmt, dass dadurch nicht auf einmal alle Probleme mit dem Wohnungsmarkt gelöst werden. Es würde aber in Zukunft einen deutlich größeren Teil der Wohnungen geben, in denen die gesellschaftliche Debatte über Preissteigerungen und Lebensbedingungen bestimmt. Jede Berliner Mieter*in weiß, dass es einen spürbaren Unterschied zwischen den Städtischen Wohnungsunternehmen und dem freien Markt gibt – das zu bestreiten ist nicht radikal sondern weltfremd. Sollte der Volksentscheid gewonnen werden, müsste es als nächste Schritte darum gehen, eine Enteignung zum Nulltarif durchzusetzen und die Städtischen Wohnungsunternehmen zu demokratisieren.

    4) Die Rede ist problematisch, weil hier nach einem schwarz weiß Schema zwischen revolutionärer Politik und Reformismus unterschieden wird. Alle Aktionsformen die geeignet sind Menschen außerhalb des eigenen Dunstkreises anzusprechen erscheinen den Redner*innen als nicht weitgehend genug. Aus ihnen spricht revolutionäre Ungeduld und Frustration angesichts einer nicht revolutionären Zeit. Diese Gefühle sind nachvollziehbar, verleiten die Redner*innen aber zu den falschen Schlüssen. Anstatt beleidigt mit der maximal radikalen Position in der Ecke zu stehen, sollten wir Leute außerhalb der Szene dafür gewinnen, sich gegen Vermieter und Staat zu wehren und zusammen mit den Leuten konkrete Erfolge erkämpfen. Eine Unterschriftensammlung kann dafür ein sinnvoller Schritt sein. Entscheidend ist, dass wir nicht an die guten Vermieter oder den Staat appelieren, sondern drohen – und der Berliner Volksentscheid wird durchaus als Drohung verstanden. Was manche Mieter*innen dann Nachts vielleicht noch machen steht auf einem anderen Blatt. Das Politische Konzept der Redner*innen („ALLES SOFORT“) ist zwar irgendwie sympathisch, funktioniert aber nicht und ist auch nicht radikal, weil sie unserer realen Ohnmacht nicht in die Augen sehen. Die Forderung „Enteignung aller Hausbesitzer im sozialen Kampf“ bleibt hohl, weil kein gangbarer Weg in diese Richtung aufgezeigt wird. Im letzten Absatz wird suggeriert, man könne einfach so, zu beliebigen Themen Massen mobilisieren. Mir scheint offensichtlich, dass die Autor*innen der Rede noch nie versucht haben einen Mietstreik zu organisieren – ansonsten wüssten sie, das ein Mietstreik ausgehend von der derzeitigen Situation unmöglich der erste Schritt sein kann – kein Mensch vertraut der radikalen linken, wir haben nicht die Kraft Besetzungen zu verteidigen. Wenn wir aufrufen: „zahl deine Miete nicht!“ würden wir uns nichtmal selbst dran halten, weil wir wissen dass sie uns dann aus unseren Wohnungen schmeißen.

  5. Danke für deinen Kommentar Mieter*in. Ich verstehe deine Empörung jedoch nur im Ansatz. Bedenke, dass es sich bei dem Text um einen Redebeitrag handelt, nicht um eine tiefergehende Analyse der zweifellos grausamen Herrschaft des Stalinismus (dass dieser ein unterdrückerisches Regime war, da sind wir uns doch einig hoffe ich?) Im übrigen verstehe ich die im Text vertretene Position nicht als prizipiell anti-kommunistisch. Nehmen wir z.B. die Kritik am Verhalten der Roten und die ausbleibende Hilfe der USSR im spanischen Bürgerkrieg, diese Analyse mag dich kränken, sie wird jedoch von vielen Quellen getragen: George Orwell, August Suchy, etc. Du kannst natürlich anderer Meinung sein, jedoch verstehe ich die Aufregung nicht.
    Schließlich, und dies ist doch der Kern der Debatte, versucht der*/die* Autor*in doch vielmehr eine grundsätzliche Kritik am Instrument der Verstaatlichung in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen, welche u.a. durch die Kampagne „Deutsche Wohnen Enteignen“ als radikales Mittel inszeniert wird. Hierzu heißt es im Text: „Eine Verstaatlichung von Eigentum hat aus einer anarchistischen Sicht mit einer befreiten Gesellschaft nichts zu tun“. Hier einem religiös verstandenen Anarchismus zu sehen, halte ich für etwas über das Ziel hinausgeschossen.
    In keiner Silbe kritisiert der Text die Praxis der Organisierung zu Verhinderung von Zwangsräumungen. Sie wird, ganz im Gegenteil, zusammen mit anderen Praxen, als Teil eines sozial-revolutionären Kampfes verstanden, welcher auch offensivere Momente des Gegenangriffs einschließ. Warum also die Aufregung? Statt also einen wütenden Kommentar in die Kommentarspalte zu kotzen, wäre es doch toll einen kleinen, etwas überlegteren Antworttext zu verfassen.
    Thats it! Die Diskussion is am laufen!

  6. Der Text strotzt nur so voller Halbwahrheiten und Lügen. Marx hat Kronstadt, die Niederlage in Spanien und „Deutsche Wohnen enteignen“ quasi angelegt weil er und Bakunin in der 1. Internationale nicht mit einander klar kamen. Überhaupt, Geschichte ist gar ganz einfach. Kronstadt ist nicht eine Negativkoalition von Antisemit*innen bis Linken gegen die Bolshewiki gewesen, im spanischen Bürgerkrieg ging es den Stalinist*innen natürlich um die Anarchist*innen (um wen sonst!) und nicht um die Durchsetzung der außenpolitischen Interessen Moskaus und überhaupt, die Kommunist*innen haben sich gar nicht gegen Stalin gewehrt, so einfach geht Stalinismuskritik heute. Kommunist*innen sind böse Staatsfans und Anarchist*innen gute Lichtgestalten. Kommunist*innen die den Staat abschaffen wollen gibts einfach nicht und wenn ich mir die Hände vor die Augen halte ist es Nacht. Die Autor*innen meinen es nach Eigenaussage „ernst mit der „Sozialen Revolution“ und machen daraus eine Glaubensfrage in der sich die Rechtgläubigen „in alle soziale Fragen einmischen sollen“. Da bleibt keine Zeit für konkretes, „Massenmobiliserungen und Massenmilitanz“ sollen kombiniert werden. Alle die jemals versucht haben Mieter*innenkämpfe zu führen oder geführt haben wissen, das sind hohle Sprüche ohne Praxiserfahrung. Die einzige wirkliche Praxis auf die der Text verweist, die Verhinderung von Zwangsräumung, wird in der Wirklichkeit vor allem von bösen Kommunist*innen organisiert. Droht hier die nächste Exkommunikation?

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