kopiert aus der taz
Am Tag des Anschlags von Hanau erhielt die Bremer Fatih-Moschee eine Bombendrohung, kurz darauf einen Brief mit weißem Pulver.
Hinter dem Schreibtisch von Ilker Kabadayi in der Bremer Fatih-Moschee hängen an einer Pinnwand viele Briefe und Karten. „Wir haben nach dem Anschlag in Christchurch in Neuseeland und jetzt nach Hanau viele Briefe mit Beileidsbekundungen bekommen“, sagt er. Am vorigen Samstag lag wieder ein Brief im Briefkasten – mit Absender, eine Bremer Adresse. Kabadayi dachte, es handle sich um einen weiteren Brief mit guten Worten. „Ich habe meinen Brieföffner reingesteckt“, sagt er, „und als ich ihn rauszog, war da schon Pulver dran.“
Er wurde stutzig und verließ sofort das Büro, um den Brief draußen weiter zu öffnen. „Ich habe den Brief nicht angefasst und nur mit dem Brieföffner vorsichtig geschaut, was drauf steht“, sagt er. Und da sah er bereits Hakenkreuze. Er rief die Polizei.
Es wurde ein Großeinsatz. Krankenwagen und Fahrzeuge der Feuerwehr waren da. Experten der Bundespolizei und der Feuerwehr überprüften, ob es sich bei dem Pulver um eine explosive oder giftige Substanz handle. Das Pulver stellte sich als ungefährlich heraus.
Zum Zeitpunkt des Einsatzes befanden sich über 200 Kinder in der Moschee beim Koranunterricht. Sie durften das Gebäude nicht verlassen.„Die Kinder und vor allem auch die Eltern hatten große Sorge“, sagt Kabadayi, der in der Verwaltung von Deutschlands drittgrößter Moschee arbeitet. Niemand durfte das Gebäude betreten oder verlassen, für etwa zwei Stunden.
Die Kinder standen an den Fenstern
Die Kinder hätten an den Fenstern der Moschee gestanden und den Einsatz beobachtet. „Ich musste mit ein paar Kollegen in meinem Büro bleiben“, sagt er. Alle, die mit dem Brief in Berührung gekommen waren, wurden separiert. „Alles wurde abgeriegelt.“ Als die Entwarnung kam, seien alle sehr erleichtert gewesen.
Am Sonntag nach dem Vorfall haben am Koranunterricht nur wenige Kinder teilgenommen. Die meisten Eltern wollten ihre Kinder vorerst nicht in die Moschee schicken. „Das dauert sicherlich noch ein paar Wochen“, sagt Kabadayi. „Gefühlsmäßig ist es nicht so einfach.“ Man müsse jetzt zusätzlich aufeinander achten.
Seit dem Vorfall fährt jede Stunde, in unregelmäßigen Abständen, ein Polizeiwagen des Objektschutzes vorbei. Für Kabadayi ist das aber nicht genug. Die Mitglieder der Gemeinde fordern mehr Schutz. Im besten Falle sollte die Moschee 24 Stunden am Tag überwacht werden, wie einige Synagogen. Das sei aber schwierig, sagt Kabadayi. „Hier in Bremen haben wir etwa 20 bis 25 Moscheen“, sagt er.
Bekomme eine Moschee Schutz, würden alle anderen natürlich dasselbe fordern. Die Polizei habe gar nicht die Kapazitäten vor jeder Moschee zwei Beamte abzustellen. „Wir bekommen, anders als die Kirche, in Deutschland keine zusätzlichen Gelder vom Staat“, sagt das ehemalige Vorstandsmitglied. „Wir finanzieren uns ausschließlich durch Spenden und Mitgliedsbeiträge.“ Da sei es zu teuer, einen privaten Sicherheitsdienst zu engagieren.
Einen Tag vor dem Terroranschlag in Hanau, bei dem ein Schütze in und vor zwei Shishabars neun Menschen ermordete, hatte die Stadt Bremen eine Forderung der muslimischen Verbände nach mehr Schutz für Moscheen abgelehnt. Eine besondere Gefährdungslage sei derzeit nicht erkennbar, erklärte die Innenbehörde damals in der Fernsehsendung „Buten un binnen“ – eine Aussage, die sie einen Tag später revidierte. Denn am Tag des Anschlags von Hanau hatte die Fatih-Moschee eine Bombendrohung erhalten. Seitdem fährt die Polizei verstärkt Streife.
Am vergangenen Donnerstag hat die Schura, der Rat der islamischen Gemeinden in Bremen, erneut die Bitte nach mehr Schutz der Moscheen an die Polizei herangetragen. „Es geht hierbei auch um das subjektive Sicherheitsgefühl“, sagt der Schura-Vorsitzende Murat Çelik.
Zu der Frage, ob es in Zukunft einen vermehrten Schutz muslimischer Einrichtungen in Bremen geben wird, gab die Pressestelle der Polizei bekannt, dass die Objektschutzmaßnahmen sich an der polizeilichen Gefährdungsbewertung orientierten. Die Polizei sei darüber hinaus in regelmäßigem Austausch mit den entsprechenden Institutionen und Einrichtungen.
Keine öffentlichen Auskünfte
Dazu, ob es eine 24-Stunden-Überwachung geben werde, könne man „aus polizeitaktischen Gesichtspunkten keine öffentlichen Auskünfte geben“, sagt Franka Haedke, Pressesprecherin der Polizei Bremen. Die Fatih-Moschee sei aber „Teil des Objektschutzplans der Polizei“.
Oben, im ersten Stock der Fatih-Moschee, befindet sich der Gebetsraum. Ein riesiger Raum, die Wände komplett mit bunten Kacheln verziert, große Fenster lassen viel Licht herein. Das Dach formt sich in der Mitte des Raumes zu einer Kuppel, ebenfalls verziert mit bunten Kacheln und Kalligraphien. In der Mitte der Kuppel hängt ein großer Kronleuchter aus vielen gläsernen Kristallen.
Der Gebetsraum darf nur mit Socken betreten werden, die Schuhe müssen vorher im Flur abgelegt werden. Es herrscht eine ruhige Atmosphäre. Im hinteren Teil des Raumes sitzt ein Mann mit geschlossenen Augen auf dem Boden und betet. Der Boden ist bedeckt mit Teppich, der alle Geräusche dämpft.
„Zum Freitagsgebet haben wir oft etwa 800 Gäste hier“, sagt Kabadayi. Er weist in Richtung der Gebetsnische. „Dort steht dann der Imam und betet vor.“ Männer und Frauen beten getrennt, auf einer Empore die Frauen, unten die Männer.
Insgesamt ist Platz für 1.300 Menschen. An Feiertagen oder wenn keine Schule sei, dann sei der Raum manchmal fast voll. „Zumindest Freitags, wenn wir so viele Gäste hier haben, dann könnte ein Streifenwagen vor der Tür mit zwei Beamten schon eine Erleichterung sein“, sagt Kabadayi.
Tür ist offen
„Unsere Tür ist immer offen und das muss auch so bleiben“, sagt er. Jeder sei hier willkommen und müsse immer die Möglichkeit haben, zu kommen und zu gehen wann er oder sie will. „Wenn ich bete, dann habe ich jetzt oft im Kopf, was passieren würde, wenn jemand rein kommt.“
Beim Beten knie man mit dem Rücken zur Tür. „Wenn dann jemand kommt und wir beten alle, dann hat er freie Wahl“, sagt Kabadayi. Seine Hand beschreibt einen Halbkreis. Er senkt den Blick. „Es sollte sich nicht erst etwas ändern, wenn schon was Schreckliches passiert ist.“
Quelle: taz.de