kopiert aus der taz
Anschlag auf Bremer AfD-Politiker
Der AfD-Politiker Frank Magnitz wird überfallen. Die Polizei sucht vor Ort nach Spuren – und revidiert schon am Abend zentrale Angaben der AfD.
Die Polizei am Tatort in BremenDer Regen hätte das Blut an jeder anderen Stelle weggewaschen. Doch es ist noch da. Mehrere rote Flecken zeugen am Dienstag auf dem Gelände des Bremer Theaters vom Angriff auf den AfD-Bundestagsabgeordneten und Bremer Landesvorsitzenden Frank Magnitz am Vortag. Hier, an einem Durchgang am hinteren Ende des Theatergeländes, sind zwischen zwei Laderampen etwa zehn Meter des Wegs überdacht. Tagsüber fällt Licht durch die Deckenfenster, nachts ist es trotz einiger Leuchten eine eher dunkle Ecke. An der einen Seite lagern – wohl aus der Requisite – Holzrahmen, ein Müllsack, eine Gartenbank. Keine Absperrung, keine Streifenwagen sind am Dienstagmittag am Tatort zu sehen.
Was hier genau geschehen ist? Noch laufen die Ermittlungen. Erste Ergebnisse aber werden Polizei und Staatsanwaltschaft am frühen Dienstagabend bekannt geben – und einige zentrale Aussagen revidieren, die zuvor von der AfD über den Tathergang veröffentlicht wurden. Die Partei hatte von einem „Mordanschlag“ gesprochen, von einem Kantholz als Tatwaffe und Tritten gegen den Kopf. Davon hat die Polizei in Überwachungsvideos nichts gefunden, sie ermittelt wegen gefährlicher Körperverletzung.
Der Durchgang am Theater führt zu einer ruhigen Seitenstraße, gegenüber liegt ein Parkhaus. Nur wenn Aufführungen stattfinden, ist hier mehr los. Das Ensemble aus dem Bremer Theater am Goetheplatz und der Kunsthalle bildet den Übergang von der Innenstadt zum alternativen Szeneviertel „Ostertor“.
Als Frank Magnitz am Montag gegen 17.20 Uhr angegriffen wird, ist er auf dem Rückweg von einem Neujahrsempfang, den die Bremer Lokalzeitung Weser-Kurier in der Kunsthalle ausrichtet, so schreibt es seine Partei.
Der Ort und der Zeitpunkt des Attentats spielen in der Interpretation der Ereignisse am nächsten Tag eine Rolle. AfD-Chef Alexander Gauland erklärt auf einer Pressekonferenz in Berlin auf die Frage, warum er sich sicher ist, dass die Tat einen politischen Hintergrund habe: „Es ist ziemlich klar, wo es geschehen ist und wo er hergekommen ist: Da gibt es in Bremen eine Diskussion um die Aufstellung eines Denkmals und an dem Platz ist er vorbeigegangen. Da gab es eine Menschenansammlung.“
Tatsächlich findet zur Tatzeit eine Kundgebung statt. Jedes Jahr gedenkt hier eine Initiative des Todes von Layé Condé, der 2005 in Polizeigewahrsam an den Folgen einer Brechmittelfolter starb. Die Polizei hatte damals eine kleine Menge Drogen bei dem Sierra Leoner sichergestellt. Heute fordert die Initiative ein Mahnmal. Die Demonstranten kommen aus dem antirassistischen Spektrum, aus der bürgerlich-linken Zivilgesellschaft.
Sogar der Polizeipräsident Bremens ist in den vergangenen Jahren schon als Privatmann dabei gewesen – weil auch er meint, dass in Polizeigewahrsam niemand umkommen sollte. Teilnehmer, die am Montag auf der Kundgebung waren, erzählen, die Stimmung sei andachtsvoll gewesen. Von dem Angriff auf Magnitz hätten sie nichts mitbekommen, später nur einen Rettungswagen gesehen. Tatsächlich ist der Tatort einige hundert Meter entfernt, am anderen Ende des Theatergeländes – weder in Sicht noch in Hörweite der Kundgebung.
Die Ermittler am Tatort fotografieren
Zwei Männer gehen am Dienstagmittag zu der Stelle am Boden mit den Blutresten. Sie tragen praktische Kleidung und Jeans, einer hält ein Aktenetuit in der Hand. „Ich mache noch mal ein Foto von der Kante“, sagt er und tritt einen Schritt näher an die etwa einen Meter hohe Rampe heran, dort, wo am Boden die Blutflecken schimmern. Sie seien von der Polizei, sagt der andere. Alle Nachfragen beantworte die Pressestelle.
Die hatte noch am Montagabend eine erste Mitteilungen versandt. „Gegen 17.20 Uhr wurde im Bereich des Theaters am Goetheplatz der Bundestagsabgeordnete und Landesvorsitzende der AfD Bremen von mehreren Personen angegriffen und verletzt“, heißt es darin. Aufgrund der Funktion des Geschädigten sei von einer politischen Motivation der Tat auszugehen. Die Täter seien flüchtig. Man suche nach Zeugen.
Am Dienstag dann informiert die Polizei, dass eine Sonderkommission gebildet worden ist, unter Federführung des Staatsschutzes, der im engen Austausch mit dem Bundeskriminalamt stehe. Für weitere Nachfrage ist die Staatsanwaltschaft zuständig.
Die Polizei fahndet nach mindestens drei Tätern
Von der Polizei folgt eine nähere Beschreibung der Tat: Der 66-jährige Frank Magnitz sei von mindestens drei Männern angegriffen worden. Dunkel gekleidet seien diese gewesen, trugen Kapuzen oder Mützen. „Sie schlugen ihm mit einem unbekannten Gegenstand gegen den Kopf und flüchteten in Richtung Bleicherstraße.“ Zwei Handwerker, die in der Nähe ihren Wagen beluden, hätten den am Boden liegenden Mann entdeckt und einen Rettungswagen gerufen.
Magnitz wird mit schweren Verletzungen in ein Krankenhaus gebracht. Dort erreicht ihn am Dienstag die Nachrichtenagentur dpa. Ein Passant habe ihn „gerettet“ und ihm später den Tathergang geschildert, sagt Magnitz, der die nächsten Tage im Krankenhaus verbringen muss. Er selbst könne sich nicht an Details erinnern. Er habe zahlreiche Prellungen und Platzwunden. „Was hier passiert ist, das darf man ohne zu dramatisieren als Mordanschlag bezeichnen“, sagt Magnitz. Er habe früher zwar gelegentlich Drohungen erhalten, diese seien aber nie sehr konkret gewesen.
Der stellvertretende Landesvorsitzende der AfD, Thomas Jürgewitz, der als Kontakt für Rückfragen zu dem Vorfall angegeben wird, will auch auf mehrfache Nachfrage nicht mit der taz sprechen: „Sie halten uns für unnötig, wir halten Sie für unnötig, belassen wir es dabei.“
Die Bremer AfD äußert sich noch am Montagabend über die sozialen Medien. „Mordanschlag auf Frank Magnitz – das Ergebnis rot-grüner Hetze“, ist ein Post überschrieben. Ein andere zeigt ein Bild von Magnitz – blutüberströmt, mit EKG-Elektroden auf der Brust und mit einer tiefen Wunde am Kopf. „Mit einem Kantholz schlugen sie ihn bewusstlos und traten weiter gegen seinen Kopf, als er bereits am Boden lag“, schreibt die AfD.
Die AfD publiziert Bilder vom blutüberströmten Opfer
Der Post mit dem Foto des blutüberströmten Manns wird bereits in der ersten Stunde mehrere tausendmal auf Facebook geteilt. Viele wünschen Magnitz eine schnelle Genesung. Andere sind offensiver: „Wir befinden uns im Krieg“, schreibt einer der Kommentatoren. „Erst der Anschlag in Döbeln, jetzt das“, schreibt ein anderer. In der letzten Woche hatte eine Explosion im sächsischen Döbeln ein AfD-Büro beschädigt. „Ab wann spricht man offiziell von politisch motiviertem Bürgerkrieg?!“, heißt es. Manche Facebook-Nutzer wünschen sich die Todesstrafe zurück und sehen sich an die NS-Zeit erinnert. „Irgendwie ist das wie vor ca. 85 Jahren, nur anders herum.“
Von antifaschistischer Seite wird der Angriff anders bewertet und teilweise begrüßt. Unter einen Post von AfD-Chef Jörg Meuthen schreibt ein Twitter-Nutzer mit Werder-Raute „Antifa“, versehen mit einem Herz. Die „Basisgruppe Antifa“ aus Bremen sieht Ungereimtheiten in den Aussagen des Opfers über den Tathergang.
Wilko Zicht, ein ehemaliger grüner Bürgerschaftsabgeordneter, schreibt, er hoffe, die Ermittlungen in Sachen Magnitz seien nicht so einseitig wie die öffentlichen Mutmaßungen. „Angesichts des Modus Operandi, der offenen Kontakte der Bremer AfD ins gewaltbereite OK-Milieu und der partei-internen Zustände ist ja nun Vieles zumindest denkbar“, schreibt Zicht vieldeutig.
Bei den Parteien indes sorgt der Angriff auf den Bundestagsabgeordneten Frank Magnitz lagerübergreifend für Empörung. Dies ist keine Angelegenheit des Stadtstaats Bremen, es berührt die Republik. Außenminister Heiko Maas (SPD) twittert, Gewalt dürfe „niemals ein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein“. Es sei „völlig egal“, gegen wen sie sich richte und was die Motive dafür seien. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak fordert dazu auf, den Einsatz von Hetze, Hass und Gewalt in politischen Streitigkeiten zu beenden. „Diese Saat darf nicht aufgehen.“
Der Grünen-Politiker Cem Özdemir twittert, auch gegenüber der AfD gebe es „keinerlei Rechtfertigung für Gewalt“. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch spricht von einem durch nichts zu rechtfertigenden „Verbrechen“. FDP-Bundeschef Christian Lindner teilt mit, die Attacke mache ihn „betroffen“.
Spuren aus der Videoüberwachung
Am anderen Ende des Theatergeländes sitzt am Dienstagmittag ein Ermittler an der Bühnenpforte vor einem Laptop. Er scrollt durch Überwachungsaufnahmen. „Kamera 7 zeigt den Tathergang, Kamera 10 den Anmarsch“, sagt ein Mitarbeiter des Theaters. Das ganze Gelände ist videoüberwacht, auch an Metallträgern in dem überdachten Durchgang hängen zwei unscheinbare Linsen. Doch auf den Bildern auf dem Laptop ist, von etwas entferntem Standpunkt aus betrachtet, nicht viel zu erkennen, nur kleine helle und großen dunkle Flächen.
Während der Ermittler auf den Bildschirm starrt, herrscht am Hintereingang des Theaters reges Treiben. Ein Schauspieler fragt nach seiner Post, eine Opernsängerin tritt kostümiert in weißem Kleid aus dem Treppenhaus. Aus einem der Räume schallt die Stimme eines Sängers. Der Betrieb geht seinen Gang, es sind Proben für die Aufführung des „Fidelio“ am Donnerstag.
„Wo ist denn nun das viel beschriebene Kantholz?“, fragt der Ermittler. Er könne es auch nicht sehen, aber die Wunde sei ja tief gewesen, sagt der Theatermitarbeiter. „Da ist er“, sagt der Mitarbeiter, nach ein paar Minuten vor dem Bildschirm. Er meint Magnitz. „Und da sind die drei Angreifer.“
Die Ermittlungen haben gerade erst begonnen. Doch noch am Dienstagabend informieren Staatsanwaltschaft und der Polizei Bremen in einer Mitteilung über ihre ersten Ergebnisse: Die Behörden ermitteln nach ersten Vernehmungen und der Auswertung von Videomaterial nunmehr wegen des Verdachts einer gefährlichen Körperverletzung – also nicht wegen eines Mord- oder Totschlagversuches.
Die gesicherten Aufnahmen zeigen laut Ermittlern zwei Personen, die sich Magnitz von hinten näherten, eine dritte sei versetzt dahinter gelaufen, heißt es in der Mitteilung. „Einer der Unbekannten schlug den Bremer von hinten nieder, woraufhin der Mann stürzte. Der Abgeordnete erlitt eine stark blutende Kopfverletzung.“ Die Täter seien anschließend geflüchtet.
Und: „Auf dem bisher gesicherten Videomaterial kann der Einsatz eines Schlaggegenstandes nicht festgestellt werden.“ Ob die Täter auf dem Videomaterial zu erkennen waren, wollte die Polizei aus ermittlungstaktischen Gründen zunächst nicht sagen.
Quelle: taz.de