Redebeitrag zum 18. März 2021 – Tag der politischen Gefangenen

Siamo tutti antifascisti!

An diesem Tag der politischen Gefangenen wollen wir auf eine ganz bestimmte Form der Kriminalisierung politischer Positionen hinweisen. Es geht um die Kriminalisierung antifaschistischer Aktivität. Es geht um Solidarität und darum, sich klar zu positionieren.

Wenn irgendwo, aber ganz besonders in Deutschland, Antifaschismus kriminalisiert wird, ist das nichts weniger als eine Katastrophe. Antifaschistisch zu sein ist die absolute Mindestanforderung an jegliche legitime politische Position. Ein politischer Standpunkt, der sich nicht explizit gegen Faschismus richtet, sollte untragbar sein – aber das ist nicht der Fall. Im Gegenteil: Antifaschismus wird kriminalisiert. Die aktuelle Aussage von Boris Pistorius, Niedersachsens Landesinnenminister und SPD-Politiker, ein Verbot antifaschistischer Gruppen prüfen zu wollen, ist da nur ein Symptom unter vielen, aber es ist bezeichnend. Und es lohnt sich, anzuschauen, in welche historischen und politischen Kontext sich Pistorius mit seiner Forderung begibt.

Seitdem es Faschismus gibt, gibt es auch Antifaschismus.
In Deutschland, der Geburtstätte des Nationalsozialismus, waren es in den 1920er Jahren, während der Weimarer Republik, u.a. die Kampfbünde der SPD (welch ein Hohn!) und natürlich der KPD, die sich dem aufkeimenden Faschismus entschlossen entgegenstellten. Die KPD war es, die am 25. Mai 1932 die Antifaschistische Aktion ausrief[1] – jede*r Arbeiter*in sollte lokale, autonome Selbstschutzgruppen bilden. Dies entstand aus den Erfahrungen der gewalttätigen Auseinandersetzungen mit NSDAP-Mitgliedern. Dieser Wunsch nach Selbstschutz und den Schutz anderer verfolgt die antifaschistische Überzeugung seit jeher.

So war in den 1990er „Baseballschläger“-Jahren die antifaschistische Gegenwehr oft die einzige Möglichkeit, sich Angriffen von Nazis zu widersetzen und die Hetze, die Gewalt, die Ermordung von FaschistInnen zu verhindern (leider und nur allzu oft kam jede Hilfe zu spät). Denn damals wie heute galt: Im Falle der Bedrohung durch rechte Gewalt ist das Hinzuziehen der Polizei keine Option – zu sehr ist sie selbst mit rechtem Gedankengut, mit Verbindungen in rechte und rechtsextreme Gruppen verwoben (Wir verweisen auf rechtsextreme Chatgruppen, auch hier in Bremen, Verschleierungstaktiken im NSU-Prozess, unterlassene Hilfeleistung gegenüber von rechter Gewalt Betroffenen usw.)[2]

Immer und immer wieder, auch dies schon erkennbar in Statistiken zum Vergleich von Verurteilungen aufgrund politisch motivierter Straftaten während der Weimarer Republik[3], wurde klar, dass Deutschlands Justiz, Politik, Exekutive auf dem rechten Auge blind ist. Während Faschisten mordeten, prügelten, Häuser anzündeten, Menschen jagten, sich in Parliamenten niederließen und den Diskurs nach rechts verschoben, während sie Menschenfeindlichkeit als Kernthema ihrer politischen Motivation ungehindert verfestigen konnten, wurden antifaschistische Gruppen rechtlich verfolgt, mit Repressionen überhäuft, verboten und dämonisiert. Diese Verharmlosung rechter Gewalt bei gleichzeitiger Verteufelung linker Agitation mündet in der immer noch vorherrschenden Vorstellung der Hufeisentheorie, die bereits längst widerlegt wurde bzw. niemals eine stimmige Theorie darstellte.[4] Kurze Erklärung: Die Hufeisentheorie sieht die Gesellschaft als Hufeisen, an deren gleichwertigen (!!!) Enden linksextreme und rechtsextreme Positionen stehen, während die bürgerliche Mitte keine zu erkennende politische Positionierung vertritt. Wie lächerlich, wie unzulänglich, wie schlichtweg falsch diese vermeintliche „Theorie“ ist, belegen alle Statistiken rechter Gewalt im Vergleich zu dem, was als linke Gewalt herangezogen wird.

Parallel zu den Gewalttaten rechter TäterInnen geschieht gerade auf politischer Ebene die Legitimierung der Bedrohung und Gefährdung linker Politik – wie die Verbotsforderung antifaschistischer Gruppen durch Boris Pistorius zeigt, durch PolitikerInnen jeder politischen Couleur.[5] Wie hieß es doch so schön: „Wer hat uns verraten?“

Kurze Beispiele umreißen im Folgenden die Kriminalisierung und Delegitimierung antifaschistischer Arbeit in letzter Zeit (wir beschränken uns auf nur vier Beispiele, da dieser Beitrag sonst über viele Seiten mehr verfügen wurde):

Ende 2019 wurde dem „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten“ (VVN-BDA) die Gemeinnützigkeit aberkannt. Esther Bejarano, Auschwitz-Überlebende und Ehrenvorsitzende des VVN-BDA, verfasste damals einen eindringlichen öffentlichen Brief an Olaf Scholz, in welchem sie die Bedeutung antifaschistischer Arbeit unterstrich. Titel ihres Briefes: „ Das Haus brennt – und sie sperren die Feuerwehr aus!“[6]

Letzten Juni stellte die AfD einen Antrag im Bundestag, „die Antifa” bundesweit zu verbieten.[7] Generell verwundert es nicht, dass die AfD immer wieder mehr oder weniger erfolgreich versucht hat, antifaschistische Arbeit zu kriminalisieren und auch in diesem Bereich den Diskurs deutlich nach rechts zu verlagern – nachvollziehbar herausgearbeitet in einem Artikel von Andreas Speit für die taz am 5.4.2019.[8]

Für bundesweites Aufsehen sorgte die Verhaftung der Antifaschistin Lina E. in Leipzig – ein Bundesvorstandsmitglied der Roten Hilfe kontextualisiert den Fall und ordnet ihn in die massive Repression gegen Antifaschist*innen bspw. von „Dresden Nazifrei“ oder einer vermeintlichen Leipziger „Sportgruppe“[9] ein.

Natürlich sehen sich Antifaschist*innen auch in anderen Ländern Repressionen ausgesetzt: So erklärte der ehemalige Präsident der USA, Donald Trump, die „Antifa“ kurzerhand zur nationalen terroristischen Bedrohung, machte sie für Unruhen verantwortlich und phantasierte von einer kommunistischen Weltverschwörung (hallo Antisemitismus!).[11] Dann erließ er ein Einreiseverbot für vermeintliche „Antifa“-Mitglieder*innen – welches auch in Deutschland breit diskutiert wurde. Viele äußerten sich solidarisch – viele, wie etwa Alice Weidel von der AfD, natürlich im Sinne des Verbots.[11] Diese Begeisterung über Verbote antifaschistischer Gruppen und Arbeit taucht natürlich auch als Reaktion auf Pistorius‘ Vorstoß auf. So frohlockte der AfD-Politiker Carsten Hütter über Pistorius‘ Vorschlag: „Es ist erfreulich, dass in Niedersachsen genau das gemacht wird, was die AfD zum Beispiel auch in Sachsen von der CDU schon lange einfordert.“[12] Da bleibt nur zu sagen: Wie man sich bettet, so liegt man. Und manchmal ist es sehr aussagekräftig zu schauen, aus welcher politischen Ecke der Zuspruch kommt, um einschätzen zu können, welche politische Wirkmacht eine Aussage hat. Nachdem er für seine Aussagen Kritik geerntet hat, sagte Pistorius übrigens: „Jeder, der gegen Faschismus kämpft, verdient zuallererst den Dank der Gesellschaft.“[13] Also Dank ja, Unterstützung und Legitimierung im Kampf gegen Hass, Menschenfeindlichkeit, Gewalt und Hetze nein. Pistorius’ Worte mögen also auf den ersten Blick beruhigend klingen, sind aber im Kontext von seinen Aktionen nicht mehr als Orwellsche Doppelsprache.

Antifaschistische Aktionen sind in Deutschland keineswegs selbstverständlich anerkannt. Im Gegenteil: Sie werden kriminalisiert und Antifaschist*innen zu Feindbildern gemacht und um sie herum ein terroristisches Bedrohungsszenario kreiert.

Dabei sind Forderungen nach dem Verbot „der Antifa” absurd. Antifa ist keine Organisation, und zunächst mal kann jede* und jeder* Antifa sein – dafür genügt es, sich klar gegen Faschismus zu bekennen und wenn möglich in irgendeiner Art und Weise gegen Faschismus aktiv zu werden – Vergleiche dazu den Duden.[14] Selbst der Bundestag kam im Jahre 2018 im Rahmen einer Ausarbeitung zu diesem Ergebnis.[15]

In der Praxis sind viele (aber nicht alle!) Antifaschist*innen gleichzeitig politisch links, autoritätskritisch und kapitalismuskritisch eingestellt. Das ist kein Zufall: Eine stringente Analyse faschistischer Strukturen kommt zu dem klaren Ergebnis, dass der Kapitalismus Bedingung und Nährboden des Faschismus ist.[16]

Der Begriff Antifaschismus umfasst, zumindest in der Theorie, eine riesige Bandbreite an politischen Positionen, und nach dieser Definition kommt ein Verbot „der Antifa” eigentlich schon einem Bekenntnis zum Faschismus gleich. Denn was sind es denn für Menschen, die ein Problem damit haben, dass es Menschen gibt, die sich für eine solidarische Gesellschaft einsetzen, in der Menschen angstfrei und unterschiedlich und dennoch ohne Ausschluss und mit allen Partizipationsmöglichkeiten leben können? Wie kann es sein, dass, wenn Menschen sich hetzenden rechten Mobs in den Weg stellen, wenn sie das Leben und die Unversehrtheit ihrer Mitmenschen mit allem zu schützen bereit sind, was ihnen zur Verfügung steht, wenn sie Aufklärungs- und Bildungsarbeit leisten, wenn sie Zeit, Kraft und die eigene Sicherheit aufs Spiel setzen, um zu ermöglichen, dass sich Menschen frei und ohne Angst bewegen können – dass eben diese Menschen sich Repressionen, Kriminalisierung und Diffamierung ausgesetzt sehen? Wie kann eine Täter-Opfer-Umkehr so perfide durchgeführt werden?

Somit schließen wir unseren Beitrag: Wir sehen uns auf der Straße, auf Veranstaltungen, auf Demos und Kundgebungen, bei Diskussionen und auch im eigenen sozialen Umfeld. Denn Antifa bleibt Handarbeit! Und den Antifaschismus lassen wir uns nicht verbieten – versucht es doch!

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[1] https://de.wikipedia.org/wiki/Antifaschismus (Zugriff am 13.2.2021)

[2] https://www1.wdr.de/nachrichten/rechtsextremismus-rassismus-reichsbuerger-polizei-nrw-100.html (Zugriff am 12.2.2021)

[3] vgl. z.B. https://www.deutschlandfunk.de/moerderische-statistik-gewalt-von-rechts.1310.de.html?dram:article_id=345863 (Zugriff am 12.2.2021)

[4] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/hufeisentheorie-hufeisenschema-rechtsextremismus-afd-linke-thueringen-102.html (Zugriff am 12.2.2021)

[5] https://www.haz.de/Nachrichten/Der-Norden/Niedersachsens-Innenminister-Pistorius-will-Verbot-von-linksradikalen-Antifa-Gruppen-pruefen (Zugriff am 12.2.2021)

[6] https://vvn-bda.de/offener-brief-von-esther-bejarano-an-olaf-scholz-das-haus-brennt-und-sie-sperren-die-feuerwehr-aus/ (Zugriff am 12.2.2021)

[7] https://www.bundestag.de/presse/hib/701416-701416 (Zugriff am 12.2.2021)

[8] https://taz.de/Kriminalisierung-der-Antifa/!5583111/ (Zugriff am 13.2.2021)

[9] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1144570.antifaschismus-ein-bedrohungsszenario-wird-aufgebaut.html

[10] https://www.tagesschau.de/ausland/usa-antifa-trump-101.html (Zugriff am 13.2.2021)

[11] https://www.euronews.com/2019/07/29/trump-s-antifa-ban-threat-prompts-social-media-backlash-in-germany (Zugriff am 13.2.2021)]

[12] https://www.presseportal.de/pm/110332/4820594 (Zugriff am 13.2.2021)

[13] https://taz.de/Moegliches-Antifa-Verbot-in-Niedersachsen/!5748265/ (Zugriff am 13.2.2021)

[14] http://archive.vn/H1kHE (Zugriff am 13.2.2021)

[15] https://www.bundestag.de/resource/blob/557014/7e164d071a4a535dfb6bb4efdd5bca2c/wd-7-069-18-pdf-data.pdf#page=7&zoom=150,100,800 (Zugriff am 13.2.2021)

[16] vgl. dazu: https://www.antifainfoblatt.de/artikel/»kapitalismus-führt-zum-faschismus (Zugriff am 13.2.2021)

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