kopiert aus der taz
Geflüchtete in der Corona-Krise
Die umstrittene Massenunterkunft für Geflüchtete in Bremen ist für die Grünen alternativlos. „In Zukunft“ soll aber ein Mindestabstand möglich werden.
Die Grünen verteidigen die Sammmelunterkunft für Geflüchtete in Vegesack gegen die anhaltende Kritik. Eine Schließung der Erstaufnahme in der Lindenstraße sei weder jetzt noch in einer Zeit nach Corona „ein gangbarer Weg“, heißt es in einem Positionspapier des Landes- und Fraktionsvorstandes.
Der Flüchtlingsrat fordert angesichts der Ausbreitung des Corona-Virus dagegen vehement die sofortige Auflösung der Massenunterkunft, auch der linke Koalitionspartner hatte das bereits im März verlangt. Die Evakuierung des Lagers Lindenstraße sei „die einzig vernünftige Schutzmaßnahme“, sagt Gundula Oerter vom Flüchtlingsrat.
„Es erschließt sich uns nicht, warum das sinnvoll ist“, kommentiert Bernd Schneider, Sprecher der grünen Sozialsenatorin – und verweist auf die soziale und medizinische Infrastruktur in der Lindenstraße. Zudem seien die Geflüchteten auch dann „nicht separiert“, wenn sie, wie oft gefordert, zum Beispiel in leer stehenden Hotels untergebracht würden.
Schon in der Wahrnehmung der Auseinandersetzungen offenbaren sich große Unterschiede. Die Grünen sprechen nur von „vereinzelten Protesten“, der Flüchtlingsrat aber davon, dass die Bewohner*innen der Lindenstraße „seit Wochen für ihr Recht demonstrieren, an den verbindlich vorgeschriebenen Corona-Abstandsregeln teilzuhaben“. Eine entsprechende Petition, die auch eine Schließung der Massenunterkunft fordert, hatte am Dienstag fast 4.200 Unterstützer*innen.
Derzeit leben nach Angaben des Sozialressorts noch rund 400 Menschen in der Sammelunterkunft, die auf 200 Zimmern insgesamt 750 Plätze hat – und es sollen noch weniger werden. Vor der Corona-Krise lebten noch 650 Geflüchtete dort, ein Teil von ihnen ist aber mittlerweile in die Jugendherberge oder in Übergangswohnheime umgezogen.
Fünf infizierte Geflüchtete
Fünf Geflüchtete sind nach Behördenangaben mittlerweile positiv auf das Corona-Virus getestet worden. Doch während der Flüchtlingsrat davon spricht, dass Infizierte und Kontaktpersonen „offensichtlich in nicht zum Wohnen geeigneten Baucontainern isoliert“ würden, verweist Schneider darauf, dass diese von der Gesundheitsbehörde genehmigt wurden. Im Übrigen lebe dort derzeit nur ein Betroffener, die anderen Infizierten seien „extern“ untergebracht.
Die Grünen fordern, „in Zukunft die Belegung Schritt für Schritt so weit nach unten anzupassen, dass Menschen, die nicht zu einer Familie gehören, in ihren Zimmern und in den Gemeinschaftsräumen mindestens zwei Meter Abstand voneinander halten können.“ Geht das überhaupt?
Doch, das sei „machbar“, sagt der Ressortsprecher. Nur Familien und Lebensgemeinschaften lebten dort in Sechser-Zimmern zusammen, andere Geflüchtete nicht mehr. Aber wenn der Bedarf groß sei, müssten alle Geflüchteten dichter beisammen wohnen, so Schneider.
Bewohner*innen des Lagers hatten in der Vergangenheit jedoch berichtet, dass in den Schlafräumen rund sechs Personen zusammenleben und die Betten „dicht an dicht“ stehen, zudem das Lüften „sehr schwierig“ sei. Auch Gundula Oerter sagt: Die Geflüchteten hätten in ihren Zimmern gar nicht die Möglichkeit, auch nur eineinhalb Meter Distanz zu halten.
„Wir haben Angst!“
Sie spricht von einsetzender „Repression gegen die Bewohner*innen“ und „Willkür mit Ansage“. So hatte die Polizei Strafanzeigen gegen Geflüchtete geschrieben, nachdem 50 von ihnen gegen Zustände in der Einrichtung protestiert hatten. Die Demonstrant*innen hätten „auch nach mehrfacher Aufforderung“ den geforderten Mindestabstand nicht eingehalten, hieß es hernach.
Wenn dies in der Unterkunft passiert, so galt das bislang als rechtlich unproblematisch.„Sie machen mit uns hier, was sie wollen und die Menschen draußen bekommen das gar nicht mit“, zitiert der Flüchtlingsrat eine*n der Bewohner*innen des Lagers: „Sie sprechen nicht mit uns und sperren uns willkürlich ein. Wir haben Angst!“
Die Grünen loben das Sozialressort dagegen dafür, dass es aktiv daran arbeite, „Physical Distancing“ unter den Bewohner*innen der Sammelunterkunft zu gewährleisten. Und sie loben die Mitarbeiter*innen des Gesundheitsamts, der Arbeiterwohlfahrt und der Wachdienste, weil sie „unter extrem erschwerten Bedingungen alles tun, um ein soziales und solidarisches Miteinander möglich zu machen“.
Dabei hatte sich zuletzt auch der Zusammenschluss der Wach- und Sicherheitsbranche bei der Gewerkschaft Ver.di für die Schließung der Einrichtung in der Lindenstraße ausgesprochen. Schon zu normalen Zeiten sei die Wohnsituation nicht würdig, hieß es in einer Mitteilung. „Mit dem Corona-Virus ist das umso gefährlicher.“
Quelle: taz.de