kopiert aus der taz
Mit AfD und „Bürgern in Wut“ haben in Bremerhaven über 16 Prozent der WählerInnen rechts gewählt. Die AfD ist in Lehe und Leherheide zweistellig.
Ist Armut der Grund für den Rechtsruck? Menschen auf dem Weg zum Sozialamt in BremerhavenDie AfD wird erstmals in Fraktionsstärke in die Bürgerschaft einziehen, die „Bürger in Wut“ (BIW) wieder mit ihrem Gründer Jan Timke. Das liegt vor allem an einem Stimmenzuwachs in Bremerhaven. Auch wenn sie sich unterscheiden, indem die BIW eher auf Law-and-Order-Themen setzt und die AfD stärker auf Fremdenhass: Zusammen kommen die rechten Parteien in Bremerhaven auf über 16 Prozent.
Weil in den Landtag einzieht, wer hier die Fünf-Prozent-Hürde nimmt, war Bremerhaven für rechte Parteien immer attraktiv. Die DVU schaffte es so einst in die Bürgerschaft, die NPD versuchte es 2015 und auch die „Rechte“ hatte sich nun um Bremerhaven bemüht, kam aber nur auf 0,3 Prozent.
Dass das rechte Angebot hier auch auf Nachfrage trifft, wurde oft mit der sozialen Lage der Stadt erklärt – wegen des strukturellen Niedergangs seit der Werftenkrise. Zuletzt aber gab es Erfolgsmeldungen: etwa über die Arbeitslosenquote, die Ende 2018 mit 11,9 Prozent so niedrig war wie seit 35 Jahren nicht mehr.
Es habe sich einiges getan, sagt auch der Journalist Rainer Donsbach, der für die Nordsee-Zeitung jahrzehntelang über Bremerhaven berichtete: die „Havenwelten“ mit Klimahaus und Auswandererhaus am Wasser führt er als Beispiel an, die Hochschule, die auf Erweiterung dränge. Vor wenigen Monaten sei das Thünen-Institut mit seiner Fischerei-Forschung von Hamburg nach Bremerhaven umgezogen und auch die Lebensmittel-Industrie boome. „Die Aufbruchstimmung ist da, aber sie kommt nicht an bei den Leute, denen es nicht so gut geht“, sagt Donsbach.
Auf Ebene der Stadtteile holte die AfD vor allem in Leherheide und Lehe viele Stimmen. Die soziale Struktur sei hier unterschiedlich, erklärt Donsbach: In Leherheide wohnten viele Deutsch-Russen, die unter der Kohl-Regierung zugezogen waren. „Das ist ein sehr konservatives Milieu, das empfänglich ist für die Politik der AfD“, sagt der Journalist.
In Lehe wiederum herrscht seit Jahren eine hohe Arbeitslosigkeit – aktuell von rund 29 Prozent. „Hier gibt es Menschen, die teilweise in dritter Generation arbeitslos sind“, sagt Donsbach. Womöglich seien in Lehe deshalb mehr Menschen empfänglich für die einfachen Antworten der AfD.
Dass der Erfolg bei vielen nicht ankomme, sagt auch die Linkenpolitikerin Hanne Beutel. Im September 2018 hat sie das spektren-übergreifende „Aktionsbündnis gegen rechts“ mitgegründet, seitdem Mahnwachen gemacht und Flugblätter verteilt. „Der Bestand der Menschen, die rechts wählen, unabhängig davon, was passiert, ist offensichtlich größer als gedacht“, sagt sie. Der Wahlkampf der etablierten Parteien habe in Bremerhaven kaum eine Rolle gespielt. Keineswegs aber seien es nur die Armen, die rechts wählen, sagt Beutel, sondern eher diejenigen, die Angst vor dem sozialen Abstieg haben.
Quelle: taz.de