Wir möchten hier einen Debattenbeitrag zu Demo-Strategien und dem Umgang mit Bullengewalt teilen, der am Beispiel des Bullen-Angriffs auf die Demo gegen das neue Versammlungsgesetz in NRW, einige praktische Vorschläge macht. Sicherlich sind die Strategien, die Vorgeschlagen werden, nicht neu, aber eine Debatte um die Schutzlosigkeit und relative Ineffizienz statischer Demonstrationen muss sicherlich immer wieder geführt werden und sich an verändernde dynamische Situationen anpassen. Spannend finden wir, dass dies in den Kontext der zur Zeit oftmals ausufernden nächtlichen Party-Szenen gestellt wird. Jedenfalls: Viel Spaß beim lesen:
Kopiert von: enough-is-enough14.org
Am Samstag zeigten die Bullen wieder einmal ihr hässliches Gesicht. Bereitschaftsbullen, Flutlicht, ein Hubschrauber in der Luft. In einem Park in Hamburg. Seit Monaten greifen Bullen Jugendliche in Parks und Stadtteilen an, große Teile der Linken reagieren mit ohrenbetäubendem Schweigen. In diesem Szenario sollte es niemanden überraschen, dass die Bullen nach einer der friedlichsten Demos, auf der ich je war, auf einige Leute losgingen: der Osterholz-Bleibt Demo in Wuppertal am 12. Juni. Der Staat braucht keine Schutzmaßnahmen der Teilnehmer*innen (in Selbstverteidigung um eine Demo zu schützen) als Rechtfertigung für Repressionen. Die Tatsache, dass die Waldbesetzung in Osterholz und andere Aktionen für den Wald immer mehr Druck auf die städtischen- und Landesbehörden ausüben, ist Grund genug für den Staat, mit Repression zu reagieren. Am Samstag griffen die Bullen In Düsseldorf eine Demonstration gegen das neue Landes, anti, Versammlungsgesetz an. Die Empörung war groß nach den Polizeiübergriffen in Düsseldorf, das war für mich vielleicht die eigentliche Überraschung. Polizeigewalt ist nichts Ungewöhnliches, die repressiven staatlichen Kräfte sind strukturell gewalttätig. Fragt die proletarischen Jugendlichen in eurer Stadt. Sie kennen Polizeipraktiken wie Racial Profiling, Abschiebungen und allgemeine Schikanen und Polizeigewalt nur zu gut. Regelmäßig werden Menschen von Bullen zusammengeschlagen. Düsseldorf war keine Ausnahme, es war Business as usual.
Publiziert von Enough 14. Geschrieben von Riot Turtle. Bild oben von @antifa_nrw.
Es ist klar, dass die staatlichen Maßnahmen gegen den Corona-Virus die strukturelle staatliche Gewalt verstärkt haben. Politiker*innen und Polizei wurden gleichermaßen berauscht von den Möglichkeiten, ihre autoritäre Politik unter dem COVID-19-Vorwand zu verschärfen. Bereits im Frühjahr 2020 erklärte der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul, dass er das Brokdorf-Urteil loswerden wolle [1]. In diesem Sinne ist Reuls aktueller Gesetzesvorlage zur weiteren Einschränkung der Versammlungsfreiheit in NRW keine Überraschung. Das ohrenbetäubende Schweigen großer Teile der Linken, wenn es um die autoritären staatlichen Corona Maßnahmen im Jahr 2020 geht, sind nicht der Grund, dass Reul neue repressive Versammlungsgesetze vorantreibt, aber er weiß sicher, dass die Zeit reif ist, wenn Linken die autoritären Corona-Verordnungen akzeptieren. Auffällig ist auch die große Distanz zwischen großen Teilen der Linken und den Jugendlichen in den Stadtteilen und Parks, die regelmäßig Polizeigewalt ausgesetzt sind.
Für die Bullen sind diese Jugendlichen viel schwieriger zu kontrollieren als die Rituale bei den meisten linken Demonstrationen. Wo sich die „Park“-Jugendlichen immer öfter spontan gegen die repressiven Staatskräfte wehren, werden viele der typischen linken Demonstrationen von einem gewaltfreien Konsens bestimmt. Von einigen Ausnahmen abgesehen, scheint das Bewusstsein, dass Gewaltlosigkeit von unserer Seite den Staat schützt, völlig verloren gegangen zu sein. Im Gegensatz zur militanten Verteidigung der Rigaer 94 in Berlin vor einigen Wochen, konnten die Bullen in Düsseldorf ihren Einsatz ohne Probleme planen und durchführen. In Rigaer wurden die Bullen überrascht, als Menschen unangekündigt eine autonome Zone einrichteten, bevor die staatlichen Söldner*innen ihre „rote Zone“ installierten. Die Bullen mussten improvisieren, was nicht ihre größte Stärke ist. Die autonome Zone in Rigaer wurde mehrere Stunden lang militant verteidigt und es gab vergleichsweise nicht so viele Verhaftungen und Verletzte. In Düsseldorf kannten die Bullen die genaue Route der angemeldeten Demonstration, so dass es für sie einfach war, ihren Angriff zu planen. Außerdem gab es kein (mir bekanntes) Konzept, wie die Demo im Falle von Polizeiübergriffen geschützt werden könnte.
Ähnlich wie bei dem 1000 Personen umfassenden Kessel während Blockupy 2013 in Frankfurt, hatten die Menschen keine Antwort auf das gewalttätige und repressive Vorgehen der Bullen. Es ist klar, dass Menschen nicht so viele Möglichkeiten haben, wenn Bullen die Möglichkeit gegeben wurde, sich gut vorzubereiten. Aber selbst wenn es viel besser ist, als zu gehen, ist es kein Erfolg, wenn große Teile der Demo beim Kessel stehen bleiben. Es ist eine Möglichkeit, Solidarität zu zeigen, aber kein Erfolg. Es verstärkt Ohnmachtsgefühle. Das durchbrechen der Kessel wäre ein Erfolg gewesen. Die Bullen konnten viele Menschen verletzen, die street medics sagten, dass sie ca. 100 Menschen behandeln mussten, und die Bullen konnten den Kessel nach Belieben durchführen. Hunderte, die im Kessel waren, wurden einer Ausweiskontrolle unterzogen. Wahrscheinlich werden viele Anzeigen folgen.
Es ist wichtig, dass wir aus Demonstrationen wie der in Düsseldorf Konsequenzen ziehen. Erstens, warum melden wir Demonstrationen an und wenn wir das tun, was machen wir mit der Tatsache, dass es den Bullen bessere Möglichkeiten gibt, Angriffe gegen die Demo zu planen und durchzuführen, da sie den Zeitplan und die Route der angemeldeten Demos kennen. Viele werden sagen, dass es schwierig ist, für unangemeldete Demonstrationen zu mobilisieren. Aber warum nicht einfach nur den Startpunkt ankündigen, damit die Bullen zumindest nicht die Route haben? Wie ich bereits erwähnt habe, hatten die Bullen Schwierigkeiten, die autonome Zone in Rigaer zurückzuerobern. Immer wieder haben sie auch Probleme, die „Park“-Jugend unter Kontrolle zu bringen. Das liegt daran, dass sie in beiden Fällen improvisieren müssen. Eine angemeldete Demo vor Polizeigewalt zu schützen ist nicht einfach, aber was ist mit dezentralen autonomen Aktionen, wenn die Bullen eine Demonstration angreifen, um sie zu zwingen, Teile der Einsatzkräfte abzuziehen. Das würde den Leuten in der Demo eine bessere Voraussetzung geben, Kessel zu durchbrechen und die Demo gegen Polizeiübergriffe zu verteidigen. In der BRD arbeiten die Bullen oft mit riesigen Polizeiaufgeboten, um Demo-Teilnehmer*innen einzuschüchtern. Mit dezentralen, militanten, autonomen Aktionen würden die Menschen ihr Konzept durchkreuzen.
Natürlich sind dies nur erste Gedanken nach den Ereignissen in Düsseldorf und sie sind bei weitem nicht vollständig. Aber, baut nicht auf die Empörung über die Polizeigewalt in Düsseldorf. Das hatten wir schon öfter und es hat nichts geändert. Veränderung kann nur durch Kampf kommen. Veränderungen müssen wir durchsetzen.
Solidarität mit allen Betroffenen von Polizeigewalt
Fußnoten
[1] Während des ersten Covid-19 Lockdowns wurde ein Erlass betitelt als „Einsatzmaßnahmen der Polizei aus Anlass von Versammlungen“ des Innenministers Herbert Reul an die Kreispolizeibehörden öffentlich, in welchen diese u. a. angewiesen wurden, auf die für die Maßnahmen gemäß dem Infektionsschutz verantwortlichen Behörden einzuwirken, keine Mundschutzmaskenpflicht während Versammlungen anzuordnen, da dieses dem Vermummungsverbot widerspräche. Des Weiteren droht das Innenministerium implizit damit, die in § 11 (3) definierte Ausnahmeregelung für Versammlungen in der Corona Schutzverordnung abzuschaffen (zu lassen), falls sich irgendein Anlass dafür findet. In einem Brief an die Kabinettskollegen und Bezirksregierungen vom 9. April 2020 bezweifelt Herbert Reul die nach seiner Meinung durch den Brokdorf-Beschluss verfassungsrechtliche Privilegierung der Grundrechtsausübung des Versammlungsrechtes nach Art. 8 des Grundgesetzes, welches seiner Ansicht nach auf den Prüfstand gehöre. Nach der Debatte im Innenausschuss über die Textpassage nahm Herbert Reul seine Ansicht zurück und meinte er sei missverstanden worden. https://de.wikipedia.org/wiki/Versammlungsgesetz_NRW
Der Brokdorf-Beschluss ist eine Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum von 1985. Darin befasste sich das Bundesverfassungsgericht erstmals eingehend mit der Versammlungsfreiheit. https://de.wikipedia.org/wiki/Brokdorf-Beschluss